Die Periode des Dualismus ist auch für die Entwicklung
in nahezu allen Kulturbereichen eine der interessantesten Phasen in der Geschichte
Ungarns. Die für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts charakteristische
Romantik hatte in den 1840er und 1850er Jahren in der Revolutionsdichtung
von Sándor Petőfi
(s. Gedicht), in dem
extrem pessimistischen philosophischen Drama Die Tragödie des Menschen
von Imre Madách,
in den Epen und Balladen des Dichters János
Arany (s. Bild),(s.
Gedicht) in den Gemälden von Miklós
Barabás und Viktor
Madarász, sowie in den Opern László Hunyadi und Ban
Bánk (s. Katona, J.)
von Ferenc Erkel (s.
Bild) noch einmal einen Gipfelpunkt erlebt.
In den ersten zwei bis drei Jahrzehnten des Dualismus zeigten sich dann widersprüchliche
Erscheinungen. Der Verstädterungsprozeß und der umfangreiche Ausbau
des Schulwesens führten zu einer deutlichen Anhebung des allgemeinen
Bildungsstandes der Bevölkerung. Es bildete sich eine verstärkte
Nachfrage nach Produkten einer Massenkultur heraus, die ihren prägnantesten
Ausdruck in der Operettenseligkeit (s.
Blaha, L; Kálmán,
E.) fand. Auch die beispiellos populären Romane, Erzählungen
und Anekdoten eines Mór
Jókai (s. Bild)
oder Kálmán Mikszáth
(s. Bild) erreichten
kein hohes literarisches Niveau, drückten aber das nahezu verloren-gegangene
Selbstwertgefühl der Nation aus und hoben den ungarischen Freiheitskampf
in mythische Höhen.
Die bildende Kunst (s. Benczur, Meduyánszky, Lotz, Stróbl, Székely, Thorma, Thán) konnte nur sehr langsam ihre enge Bindung an die Romantik, ihr Gefesseltsein an Motive der historischen Vergangenheit, wie sie auch in den Bildern des überragenden Malers dieser Zeit, Mihály Munkácsi, zum Ausdruck kamen, überwinden. Pál Szinyei Merse (s. Bild) war der erste Künstler, der die Merkmale des französischen Impressionismus (s. Nagybánya, Hollósy, Paál, Thorma) in seinen Werken aufgriff. Auch das Musikleben (s. Bild 1, Bild 2) steckte in einem Dilemma. Zwar konnte Ferenc Liszt (s. Bild) mit der musikalischen Bearbeitung von Volksliedern die ungarischen Weisen weltweit bekannt machen, zugleich fand die ungarische Musik (s. Goldmárk, Kacsók, Bild) aber keinen Weg aus der Diskrepanz zwischen der westlichen Musikkultur und dem ungarischen Zigeuner-Kunstlied. Insgesamt wies die ungarische Kultur deutliche Zeichen eines Stillstandes und gewissen Verfalls auf. Dagegen erlebte neben dem Ausbau des Schulwesens (s. Bild, Karte) vor allem der Wissenschaftsbereich (s. Hunfalvy, Stein, Vámbéry, Teleki, S., Karte) im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts einen gewaltigen Aufschwung. Die einzige Universität Ungarns, die beim Abschluß des Ausgleichs 1867 bestand, die Universität in Pest (s. Bild 1, Bild 2), wurde nach dem Muster deutscher Universitäten erheblich ausgebaut.