Während des Krieges entwickelten sich sukzessive die inneren
und äußeren Faktoren, die zum Zusammenbruch der Monarchie führten.
Die wichtigste Entwicklung bestand darin, daß der für den Dualismus
charakteristische Prozeß der Integration nun in sein Gegenteil umschlug
und die Monarchie ihre Kohäsions-kräfte verlor. Gefördert durch
die Militarisierung des öffentlichen Lebens und beschleunigt durch die
Veränderung der internationalen Lage, die eine neue Situation für
eine Nationalstaatsbildung der kleinen ostmittel- und südosteuropäischen
Völker schuf, wurde nun die innere Desintegration zum beherrschenden
Faktor und führte schließlich zum Zerfall der heterogenen Donaumonarchie.
Vor Ausbruch und während der Anfangsphase des Welt-kriegs hielten sich
die Forderungen der Nationalitäten in der österreichisch-ungarischen
Monarchie noch weit-gehend im Rahmen interner Strukturveränderungen der
Habsburgermonarchie. Sie zielten auf eine über den Dualismus hinausgehende
föderative Umgestaltung. Im Laufe des Krieges trat aber ein wesentlicher
Wandel ein. Die Forderungen richteten sich nun an der wahr-scheinlichen Niederlage
und am Zerfall der Monarchie aus und wurden von den Ententemächten als
Kriegsziele übernommen.
Dies geschah bezüglich der Rumänen bereits im Geheimvertrag
vom August 1916. Hinsichtlich der anderen Nationalitäten waren die entsprechenden
politischen Schritte die Annahme der Deklaration des Kongresses der emigrierten
Nationalitätenpolitiker der Monarchie in Rom am 8. April 1918 und die
Anerkennung des Tschechoslowakischen Nationalrats in Paris als kriegsführender
Verbündeter.
Mit der Kapitulation Bulgariens im Sommer 1918 wurde der endgültige militärische
Zusammenbruch eingeleitet. Es kam noch zu letzten Bemühungen der Monarchie,
ihre Existenz zu retten. Aber das Friedensangebot König Karls
IV. wurde von der Entente zurückgewiesen, und die mit dem Manifest
vom 16. Oktober 1918 durch-geführte Umbildung Österreichs zu einem
Bundesstaat kam ebenfalls zu spät. Denn aus der Sicht der Nationalitäten
waren mit Hilfe der Entente bereits wesentlich weitergehende Ziele erreichbar.
Bezeichnenderweise berührte das Oktobermanifest nicht die territoriale
Integrität Ungarns. In Ungarn war die politische Führung selbst
zu diesem Zeitpunkt nicht bereit, die politische Realität in der Nationalitätenfrage
anzuerkennen.