Als eine entscheidende Schwachstelle des gesamten dualistischen
Systems, die letztlich mit zum Zusammen-bruch und zur Desintegration der Monarchie
führte, erwies sich die Nationalitätenfrage. In der österreichisch-ungarischen
Monarchie lebten 11 verschiedene Nationalitäten und dazu noch zahlreiche
kleinere Gruppen. Sie siedelten (s.
Karte) nicht in ethnisch klar abgegrenzten Räumen nebeneinander,
sondern in vielen Gebieten, vor allem auch in Ungarn, in einer unübersichtlichen
Gemengelage miteinander vermischt, was die Problematik zusätzlich verschärfte.
Die beiden staatstragenden Nationen, die Deutschen und die Magyaren, besaßen
in der Monarchie zusammen nur eine relative Mehrheit und befanden sich auch
in den beiden Reichshälften jeweils in der Minderheit gegenüber
den Nationalitäten. Allerdings war die magyarische relative Mehrheit
größer als die der Deutschen, und sie wurde später sogar zu
einer absoluten Mehrheit, wenn man Kroatien-Slawonien nicht mitberücksichtigt,
das 1868 in dem Ungarisch-Kroatischen Ausgleich eine Sonderstellung innerhalb
Ungarns erhielt. Im Zeitraum 1880 - 1910 stieg der magyarische Anteil an der
Bevölkerung von 44,8 auf 54,4%.
Dies ist zum Teil auf die - meistens freiwillige - Assimilation
der Deutschen und Juden (s. Karte),
zu einem anderen Teil auf die Erfolge einer zwangsweisen Magyarisierung der
anderen Nationalitäten und schließlich auch auf Manipulationen
bei den Volkszählungen zurückzuführen.
Die Grundlagen der ungarischen Nationalitätenpolitik lassen sich auf
die Idee der Heiligen Stephanskrone zurückführen. Nach dieser staatsrechtlichen
Theorie symbolisiert die Krone die besondere Staatsidee des St. Stephansreiches,
die tausendjährige Kontinuität der ungarischen Verfassung und der
Staatsnation und soll dadurch die Herrschaft der Magyaren über die übrigen
Völker des Karpatenbeckens rechtfertigen. Hiernach bilden die zur Krone
gehörenden Länder nach außen hin eine unteilbare und unabhängige
Einheit. Zugleich wird die aus den gleichberechtigten Angehörigen der
privilegierten Stände gebildete politische Nation, die natio hungarica,
mit dem Staat gleichgesetzt. Träger dieser Idee war der - überwiegend
magyarische - Adel. Allerdings gab es im Laufe der Geschichte innerhalb des
staatstragenden Adels durchaus unterschiedliche Auffassungen über den
Umfang der Nation.