Der Fiktion der Nationalstaatsidee und dem Prinzip der territorialen
Integrität konnten selbst führende oppositionelle Politiker wie
Oszkár Jászi
(s. Bild) und Mihály
Károlyi (s. Bild)
nicht entrinnen, die sich in der Zeit vor und während des Ersten Weltkrieges
intensiv mit der Nationalitätenfrage beschäftigten, eindringlich
vor den negativen Folgen der Magyarisierungspolitik warnten und sich deshalb
schwersten Anfeindungen seitens der Mehrheit der ungarischen Politiker ausgesetzt
sahen. Aber selbst diese im damaligen politischen Spektrum Ungarns als äußerst
progressiv anzusehenden Politiker kamen über die Forderung nach einer
korrekten und großzügigen Verwirklichung des Nationalitätengesetzes
von 1868 und einer grund-legenden, auch den Nationalitäten zugute kommenden
Demokratisierung Ungarns nicht hinaus. Auch sie lehnten jede Form von Autonomie
für die Nationalitäten ab. Ihre Konzeption sollte sich erst nach
dem Ersten Weltkrieg ändern, als es bereits zu spät war.
Dieser Nationalitätenpolitik standen die Forderungen der Nationalitäten
gegenüber. Zunächst, von den 1860er Jahren bis in die Mitte der
1870er Jahre, richteten sich die Forderungen der Nationalitäten,
deren Bewegung von einer teils recht schmalen Intelligenzschicht (s. Bild) getragen wurde, auf die Anerkennung als gleichberechtigte Nationen mit kultureller und territorialer Autonomie unter Aner-kennung des Ungarischen als Staatssprache. Das Komitatssystem sollte nach nationalen Gesichtspunkten umorganisiert werden. Das Nationalitätengesetz wurde wegen der absoluten Nichtberücksichtigung dieser Forderungen von den Nationalitäten entschieden abgelehnt. Die folgende Periode bis in die zweite Hälfte der 1890er Jahre war durch eine politische Passivität der Nationalitäten gekennzeichnet. Die einzelnen National-bewegungen zogen sich weitgehend aus dem politischen Kampf zurück und konzentrierten sich auf die Verteidigung gegen den magyarischen Nationalismus, indem sie ihre Kräfte vorwiegend auf die Förderung ihrer eigenen kulturellen Angelegenheiten richteten. Um die Jahrhundertwende begann eine dritte Phase der Nationalitätenbewegungen. Im Zuge der kapitalistischen Entwicklung auch in den Nationalitätengebieten hatte sich dort ebenfalls ein Bürgertum herausgebildet, das nun zusammen mit der Intelligenzschicht die Führung der Bewegungen übernahm.