Mit den Ankündigungen in seiner Rundfunkrede befand sich
Imre Nagy in Übereinstimmung
mit den ursprünglichen Forderungen der Aufständischen. Die Revolution
schien somit gesiegt zu haben, denn die wichtigsten Forderungen der Aufständischen:
Abzug der sowjetischen Truppen(s.
Bild), eine neue Koalitionsregierung unter Imre Nagy, Gerichtsverfahren
gegen Rákosi, Neuwahlen
mit mehreren Parteien, Reorganisation des Wirtschaftssystems, Überprüfung
der Beziehungen zu anderen Staaten, demokratische Grundrechte, waren bereits
erfüllt oder sollten von der Regierung erfüllt werden. Die Einrichtungen
des kommunistischen Machtapparats hatten sich praktisch aufgelöst, an
ihre Stelle traten örtliche Arbeiterräte und Revolutionskomitees
(Pongrátz). Die Parteien
der ersten Nachkriegsjahre, die in der stalinistischen Ära aufgelöst
worden waren, begannen wieder mit ihrer politischen Tätigkeit. Am 31.
Oktober erschien auch der aus seinem Hausarrest befreite Primas József
Kardinal Mindszenty (s.
Bild, Audio) in Budapest. Am
2. November wurde die Regierung erneut umgebildet, in ihr waren neben Imre
Nagy nur noch zwei Kommunisten, János
Kádár und Géza
Losonczy, als Minister vertreten. Das Amt des Verteidigungsministers wurde
Oberst Pál Maléter
übertragen.
Die Sowjetunion hatte am 30. Oktober zwar eine Deklaration über die Nichteinmischung
in die inneren Angelegenheiten der sozialistischen Bruderländer
verkündet, beschloß aber dennoch bereits einen
Tag später - veranlaßt durch den Suez-Konflikt und die politische
Haltung der Vereinigten Staaten, militärisch nicht einzugreifen -, eine
militärische Intervention vorzubereiten, über die auch die Parteiführer
der sozialistischen Bruderparteien vorab informiert wurden. Am 1. November
1956 verkündete Ungarn seine Neutralität sowie den Austritt aus
dem Warschauer Pakt, nachdem bekannt wurde, daß die Sowjetunion weitere
Truppen in das Land einrücken ließ. Mit der Neutralitäts-
und Austrittserklärung wollte Imre Nagy einer sowjetischen Intervention
mit diplomatischen Mitteln entgegentreten und ihr die rechtliche Grundlage
entziehen. Zugleich bat die ungarische Regierung um Anerkennung der Neutralität
durch die UNO und die Großmächte, sowie um Behandlung der Ungarnfrage
im Sicherheitsrat der UNO. Hierzu kam es aber wegen der Beschäftigung
mit der Suezkrise nicht. Der Neutralitäts- und Austrittsbeschluß
stellte aus der Sicht der Sowjetunion eine inakzeptable Entwicklung dar. Ungarn
besaß einen hohen strategischen Wert, der durch die reichen Bauxit-
und Uranerzvorkommen noch erheblich gesteigert wurde. Zudem drohte dieser
Beschluß Auswirkungen auf den Zusammenhalt des gesamten sozialistischen
Lagers haben, die nicht mehr kalkulierbar waren und letztlich zu seinem Zerfall
führen konnten.