In den 1980er Jahren wurde das Kádár-System von
tiefgreifenden Krisenerscheinungen erfaßt, die phasenhaft abliefen und
letztlich zum Scheitern des Systems führten. Die ersten, wirtschaftlichen
Krisen-erscheinungen traten Anfang der 1980er Jahre auf. Mitte der achtziger
Jahre entwickelte sich hieraus eine Krise des Vertrauens in Kádárs
Reformpolitik, als klar wurde, daß das 1985 vom XIII. Parteitag beschlossene
wirtschaftliche Aufschwungprogramm gescheitert war und die Verschuldung (s.
Bild) erneut stark anwuchs. Damit trat eine Legitimitätskrise zutage:
Die Grundlage der Legitimation des Kádár-Systems, nämlich
die an sozialer Sicherheit und Konsum orientierte Politik mit einer steten
Erhöhung (s. Bild)
des Lebensstandards, war ins Wanken geraten. Der Gesellschaftsvertrag bekam
tiefe Risse. 1987/88 brach eine Wirtschaft, Gesellschaft und Politik gleichermaßen
erfassende Systemkrise aus. Hierbei liefen mehrere Prozesse parallel und teilweise
eng miteinander verbunden ab. Die Reform des ökonomisch-politischen Systems
wurde seit Mitte der achtziger Jahre intensiv in Kreisen der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften
erörtert. Diese Diskussion auf akademischer Ebene führte zu wei-treichenden,
marktwirtschaftlich orientierten Reformvor-schlägen für das Wirtschaftssystem,
die in ihren Kon-sequenzen auch das politisch-gesellschaftliche System
nicht unberührt ließen. In einem weitereren Prozeß
entstand Ende der siebziger, Beginn der achtziger Jahren eine Oppositionsbewegung,
die sich mit
drei großen Themen beschäftigte: Protest gegen das Donaukraftwerk
Gabčikovo-Nagymaros, die Situation der ungarischen Minderheiten (s.
Karte) in den Nachbar-ländern und die Bewertung der Ereignisse von
1956. In allen drei Themenbereichen wurden der Partei und der Regierung schwere
Versäumnisse vorgeworfen. Beim Bau des Donaukraftwerks waren nach Meinung
der Oppositionellen Aspekte des Umweltschutzes unzu-reichend berücksichtigt
worden. In der Frage der ungarischen Minderheiten in den Nachbarländern,
besonders derjenigen in Siebenbürgen (s.
Bild), wurde der Vorwurf erhoben, daß Ungarn aus außenpolitischer
Rück-sichtnahme die bedrückende Situation der Konnationalen nicht
mit dem erforderlichen Nachdruck angeklagt habe. Und die Frage der Bewertung
der Ereignisse von 1956 schließlich berührte die Kernfrage der
historischen Legitimität des Kádár-Systems. Eine weitere
Oppositionsthematik betraf die Aufdeckung gesellschaftlicher Phänomene,
wie Armut, Alkoholismus etc., deren Ursachen im real existierenden Sozialismus
gesehen wurden. Besonders die Minderheitenfrage brachte das Kádár-System
in eine schwierige Situation.