Das Scheitern des Treffens der beiden Parteichefs in Arad im
August 1988 löste in Ungarn tiefe Empörung aus und führte zu
einem weiteren Anstieg der Flüchtlings-zahlen aus Rumänien.
Im November 1988 übernahm Miklós
Németh (s. Bild)
das Amt des Regierungschefs. Im Verein mit anderen Reformpolitikern war er
bestrebt, das Tempo der Reformmaßnahmen entscheidend zu beschleunigen,
stieß hierbei aber erneut auf den Widerstand starker konservativer Kräfte.
Im Winter 1988/89 verabschiedete dann das Parlament auf Vorlage der Regierung
ein weitgefaßtes Programm des schrittweisen System-wandels durch rechtsstaatliche
Reform- und Demokrati-sierungsmaßnahmen. Der entscheidende Todesstoß
wurde dem sozialistischen System der Kádár-Ära am 29.1.1989
versetzt, als Imre Pozsgay
ohne vorherige Absprache mit der Parteiführung öffentlich die Ergebnisse
einer vom ZK eingesetzten Historiker-kommission verkündete, wonach die
Ereignisse vom Herbst 1956 nicht als eine Konterrevolution, sondern als ein
Volksaufstand zu bewerten seien. Damit hatte das Kádár-System
die Grundlage seiner politischen Legiti-mität verloren, die sowjetische
militärische Intervention und die Einsetzung der Kádár-Regierung
wurden als unrechtmäßig anerkannt. Nach weiteren heftigen parteiinternen
Richtungskämpfen obsiegten schließlich die Radikalreformer auf
der Sitzung des ZK am 10./11. Februar 1989.
In den nächsten Monaten des Jahres 1989 ging es nur
noch darum, die Modalitäten für einen friedlichen politischen Systemwechsel
im Konsens mit den Oppo-sitionsbewegungen festzulegen. Dieses geschah in den
Verhandlungen des Nationalen Rundtisches, die vom 13. Juni bis zum 18. September
dauerten. Alle Schritte des Machtwechsels wurden festgelegt, bis hin zu Formu-lierungen
von mehreren grundlegenden Gesetzen, die das Parlament zu verabschieden hatte.
Hierzu gehörten das Gesetz zur Modifizierung der Verfassung von 1949,
das Gesetz zur Errichtung eines Verfassungsgerichts, das Parteiengesetz und
das Wahlgesetz.
Von großer symbolischer Bedeutung waren der Abbau der technischen Grenzanlagen
(s. Bild) an der ungarisch-österreichischen
Grenze im Mai, die Ent-bindung János
Kádárs von seinem Amt als Ehren-vorsitzender der Partei
und sein Ausschluß aus dem ZK am 8. Mai, die Wiederbestattung (s.
Bild) von Imre Nagy
und seinen Gefährten am 16. Juni sowie seine juristische Rehabilitierung
am 6. Juli - am gleichen Tag verstarb János Kádár. Im
September öffnete die Regierung die westliche Grenze für die Flüchtlinge
aus der DDR. Anfang Oktober löste sich die MSZMP auf, die Reformer gründeten
als Nachfolgepartei die sozial-demokratisch orientierte Ungarische Sozialistische
Partei (MSZP). Am 23. Oktober schließlich wurde die neue Verfassung
verkündet und die Ungarische Republik proklamiert.