Die ungarische Gesellschaft war nach dem Zweiten Weltkrieg
mehreren tiefgreifenden Wandlungsprozessen ausgesetzt, durch die sie so grundlegend
umgeformt worden ist wie nie zuvor in der Geschichte Ungarns. Zunächst
hat es durch Verluste, Transfers, Vertreibung und Flucht erhebliche Einschnitte
in der Bevölkerungszahl gegeben. Im Zweiten Weltkrieg bzw. durch den
Holocaust hatten fast 700.000 Menschen den Tod gefunden; nach Beendigung des
Krieges wurden ca. 73.000 Angehörige der slowakischen Minderheit in die
Slowakei ausgesiedelt und ca. 200.000 Ungarndeutsche nach Deutschland vertrieben,
etwa 150.000 Flüchtlinge verließen das Land in den Jahren 1945
bis 1948. Gleichzeitig wurden 95.000 Magyaren aus der Slowakei nach Ungarn
ausgetauscht und wanderten über 220.000 Flüchtlinge aus den anderen
Nachbarstaaten ein. Nach der Niederschlagung der Revolution 1956 flüchteten
weitere 210.000 Menschen, und in den 1960er und 1970er Jahren haben noch einmal
ca. 90.000 Menschen auf legalem oder illegalem Wege das Land (s.
Karte) verlassen.
Ein weiterer Prozeß betrifft die natürliche Bevölkerungs-entwicklung
(s. Karte). Die Bevölkerungszahl
stieg von 9,2 Mill. (1949) kontinuierlich an und erreichte 1980 ihr Maximum
mit einer Zahl von 10,71 Mill. Einwohnern. Seitdem sank sie auf 10,043 Mill.
(2000). Die Geburten-rate ist mit einer Höhe von 9,7 (2000) eine
der niedrigsten in Europa und liegt weit unter der Mortalitätsrate von
13,5, die mit zu den höchsten in
Europa gehört. Hieraus resultiert eine negative Bevölkerungsbilanz;
zudem ist die Altersstruktur der Bevölkerung durch einen äußerst
ungünstigen Aufbau, d. h. durch eine starke Überalterung gekennzeichnet.
(s. Abbildung - Bevölkerungsentwicklung)
Ein dritter Prozeß manifestiert sich in der umfassenden räumlichen
Mobilität der Bevölkerung. Die Binnenwanderung in Ungarn, die vor
allem durch eine Wanderung von den Dörfern in die Städte (s.
Bild) gekennzeichnet ist, erreichte ihren Höhepunkt zu Beginn der
60er Jahre. Damals wurde infolge der Kollektivierung der Landwirtschaft die
Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten um ca. 0,5 Mill. verringert
und die Zahl der industriellen Arbeitsplätze um 0,25 Mill. vergrößert.
Jährlich waren fast 10% der Bevölkerung an der Binnenwanderung beteiligt.
Inzwischen hat sie sich erheblich verringert und erfaßt jährlich
nur noch ca. 5%. Die Binnenwanderung, die Zunahme der Zahl der Städte
und das schnelle Wachstum der städtischen Einwohnerzahlen hat den Anteil
der städtischen Bevölkerung (s.
Bild) an der Gesamtbevölkerung stark ansteigen lassen. Dieser Anteil
betrug 1949 nur 36,8% und erreichte 2000 einen Wert von 63,6%. Einher ging
dieser Mobilitäts- und Urbanisierungsprozeß mit einem grundlegenden
Wandel der Erwerbstätigenstruktur. Die hier skizzierten Prozesse waren
natürlich auch mit einer sozialen Umstrukturierung der Gesellschaft,
einer sozialen Mobilität verbunden.