Die Gesellschaftsstruktur der Zwischenkriegszeit konnte noch
als typisch ostmitteleuropäisch, ergänzt um einige ungarische Spezifika,
bezeichnet werden. So standen an der Spitze der Gesellschaftspyramide und
in der politischen Führungsposition die großgrundbesitzende Aristokratie
und das großbürgerliche Unternehmertum (0,6%). Die Mittelschicht
(35-40%) setzte sich aus der sog. "Behördengentry" in Verwaltung,
öffentlichem Dienst und Militär, den freien Intelligenzberufen des
zahlenmäßig geringfügigen Bürgertums, dem Kleinbürgertum
der Gewerbetreibenden, Handwerker und Händler sowie den reichen und einem
Teil der mittleren Bauern zusammen. Die Unterschicht (ca. 60%) war zusammengesetzt
aus der breiten Masse der Klein- und Zwergbauern und der für Ungarn typischen
großen Menge der landlosen Landarbeiter (allein ca. 30%), sowie aus
der industriell-gewerblichen Arbeiterschaft. Nach dem Krieg setzte ein grundlegender
Umstrukturierungsprozeß ein. Die politische Führung strebte die
Umformung der Agrargesellschaft in eine sozialistische Industriegesellschaft
an. In den ersten Jahren wurde die Spitze der Gesellschaftshierarchie durch
die Bodenreform und die Verstaat-lichungsmaßnahmen quasi gekappt. Auf
der Ebene des gesellschaftlichen Sockels erhielten die landlosen Landarbeiter
Boden und der Status der Arbeiterschaft wurde aus ideologischen Gründen
mittels
der forcierten Industrialisierung in besonderem Maße
gefördert. In den fünfziger Jahren setzte eine umfassende Mobilisierung
der Gesellschaft in diesem Sinne ein. Zu den gravierenden Begleiterscheinungen
dieser Mobilisierung zählten die Auflösung der traditionellen bäuerlichen
Gesellschaft und die Entstehung einer Arbeiterschaft, die weiterhin mit dem
agrarischen Bereich durch den ländlichen Wohnort, Nebenerwerb etc. verbunden
war und teilweise lange Pendelwege zu ihren industriellen Arbeitsplätzen
auf sich nehmen mußte. Weitere wichtige gesellschaftliche Entwicklungen
waren der Prestigeverlust der traditionellen bildungsbürgerlichen Berufe
und die Prestigeverlagerung zur technisch-ökonomischen Intelligenz, sowie
die Veränderungen innerhalb der Familie durch die gesamtgesellschaftlich
wie individuell notwendige Arbeitsaufnahme durch die Frauen. Insgesamt führten
die politisch-ideologisch motivierten Egalitätsvorstellungen innerhalb
der Gesellschaft zu einer Nivellierung nach unten, nicht aber zu einer völlig
homogenen Gesellschaft. Es bildeten sich drei große gesellschaftliche
Gruppen (s. Bild) heraus:
die nichtland-wirtschaftlichen Arbeiter, die Beschäftigten in der Landwirtschaft,
die geistig Beschäftigten. Alle drei Großgruppen wiesen eine zunehmende
interne Differenzierung nach dem Kriterium der Fachqualifikation auf.