Nach dieser ersten, bis Ende 1958 dauernden Phase lockerte
Kádár die harten Repressionsmaßnahmen. Seine Politik (s.
Bild) ging von vier Punkten aus, die als historische Lehren betrachtet
werden können, welche aus den Ereignissen von 1956 gezogen wurden:
(1) Ein Zerfall der politischen Macht und ihrer Organe, wie 1956 geschehen,
darf sich nicht wiederholen.
(2) Terror, politische Verfolgung und übermäßige Kontrolle
der Gesellschaft, wie sie von den dogmatischen Stalinisten betrieben worden
waren, vermindern die Stabilität des politischen Systems.
(3) Zur Sicherung der Macht sind bevorzugt politische Mittel einzusetzen,
was eine gewisse Offenheit und Durchlässigkeit des politischen Systems
erfordert.
(4) An der Grundstruktur des sozialistischen Systems sowjetischen Typs dürfen
keine Veränderungen vorgenommen werden, insbesondere nicht an dem absoluten
Vorrang der sozialistischen Eigentumsverhältnisse und am Machtmonopol
der kommunistischen Partei.
Kádár's Politik verfolgte im wesentlichen drei Hauptziele: Modernisierung
der Wirtschaft, Hebung des Lebensstandards und Suche nach Legitimität
des Systems.
Die ersten Maßnahmen unmittelbar nach dem Aufstand dienten dazu, die
gröbsten Mißstände in der Wirtschaft (s.
Bild) zu beseitigen und den Lebensstandard der Bevölkerung durch
Erhöhung der Realeinkommen entscheidend zu verbessern.Die Wirtschaft
konsolidierte
sich erstaunlich schnell. So konnte in der Landwirtschaft
bereits 1958 eine erneute Kollektivierung beginnen, die schon 1961 weitgehend
abgeschlossen war.
Das dritte Ziel Kádárs, die Suche nach der Legitimität
seines Systems, bedeutete nicht eine ideologische Legitimation seines Regimes,
sondern vielmehr die Anerkennung (s.
Bild 1, Bild 2) durch
das Volk, daß das Regime die Macht rechtmäßig besitzt. Die
Bedeutung des Bündnisses von Volk und Partei wurde von Kádár
in vielen Reden betont, bekannt wurde sein 1962 formulierter Ausspruch: "Wer
nicht gegen uns ist, ist für uns".
Diesem Ziel dienten verschiedene Maßnahmen, die sich unter den Stichworten
Ausbau von Formen einer gewissen Rechtsstaatlichkeit, "Demokratisierung"
des politischen Lebens und Entpolitisierung des privaten Bereiches zusammenfassen
lassen. Diese Reform-maßnahmen wiesen zahlreiche widersprüchliche
Tendenzen auf und reichten natürlich bei weitem nicht an die Forderungen
von 1956 heran, sie sicherten aber der Bevölkerung in den sechziger,
siebziger und achtziger Jahren persönliche Freiräume und politische
Partizipationsmöglichkeiten, die keine Parallelen in den sozialistischen
Ländern Ost- und Südosteuropas fanden.