Károly
Grósz (s. Bild
1, Bild 2) übernahm
das Amt des Ministerpräsidenten und begann sofort mit dem Versuch, die
Probleme mit technokratischen Mitteln zu lösen. Er setzte ein drastisches
Sparprogramm zur Reduzierung des Haushaltsdefizits ingange. Zu diesem Programm
gehörten u.a. die Einführung einer Mehrwert- und Einkommensteuer,
der Abbau von Subventionen, die Schließung unrentabler Betriebe, die
Reduzierung der Verwaltung und ein weiterer Abbau von staatlichen Lenkungsmechanismen.
Diese Maßnahmen führten zu einer deutlichen Senkung des Realeinkommens
der Bevölkerung, die äußerst verunsichert reagierte und massenhaft
die kommunistischen Organisationen verließ.
In einem Machtkampf prallten die Differenzen zwischen den Reformern und den
konservativen Bewahrern der alten Ordnung in den Parteigremien weiterhin heftig
aufeinander. Aber auch die Reformer waren unter-einander gespalten. Während
die eine Gruppe, die gemäßigten Reformer, nur einen gesellschaftlichen
Pluralismus, also die Existenz unterschiedlicher gesell-schaftlicher Interessengruppierungen
anerkannte, gingen die radikalen Reformer weiter und akzeptierten auch einen
politischen Pluralismus, was letztlich die Abschaffung des Herrschaftsmonopols
der kommu-nistischen Partei bedeutete. Noch im April 1988 wurden vier, dem
radikalen Flügel zuzuordnende Reformer aus der Partei ausgeschlossen.
Auf der Parteikonferenz (s.
Bild) vom Mai 1988 rückten dann die beiden führenden Reformpolitiker
Imre Pozsgay (s.
Bild) und Rezső Nyers
ins Politbüro ein, während János
Kádár, der auf Grund seines Alters ganz offensichtlich von
der Komplexität der anstehenden Reformdiskussion überfordert war
und zum Reform-hindernis wurde, als Parteichef abgesetzt und auf den völlig
unbedeutenden Posten des Ehrenvorsitzenden abgeschoben wurde. In der neuen
Parteiführung hatten die radikalen Reformer, vertreten durch Rezsö
Nyers, Miklós Németh
und Imre Pozsgay, zwar ein größeres Gewicht, aber noch keine eindeutige
Mehrheit erhalten. Der neue Parteichef Károly Grósz versuchte
im innerparteilichen Richtungskampf, den radikalen Reformern mit der Durchführung
von weiteren, techno-kratisch orientierten Reformen den Wind aus den Segeln
zu nehmen. Grósz konnte beachtliche außenpolitische Erfolge erzielen,
die seine technokratische Reformpolitik unterstützten, so z.B. den Abschluß
eines Wirtschafts-abkommens mit der EG, das Ungarn die Meistbe-günstigungsklausel
einräumte, und einen Milliardenkredit der Bundesrepublik Deutschland.
Auch bei den Protesten der ungarischen Regierung gegen die die Existenz der
ungarischen Minderheit in Rumänien gefährdenden Pläne Ceauşescus
zur Systematisierung der Dörfer (s.
Bild) und Städte stand die Weltöffentlichkeit auf Seiten Ungarns.