Auch bei der zweiten Grundbedingung des Dualismus - keine Nationalbewegungen
- war es infolge der kapitalistischen Entwicklung zu einer Änderung gekommen.
Bei den Nationalitäten in der Monarchie hatten sich ein Bürgertum
und eine Arbeiterschaft herausgebildet, die in zunehmendem Maße auch
nationale Forderungen erhoben. Und schließlich war auch die Interessengemeinschaft
der herrschenden Klassen weitgehend zerbröckelt. Die Großgrundbesitzer
in Ungarn lehnten aus ihrer Verankerung im Agrarbereich heraus jede der Industrialisierung
förderliche Liberalisierung der Wirtschaftspolitik ab und forderten zugleich
konservative Reformen in der Gesellschafts- und Kulturpolitik. Sie standen
damit in Konfrontation zum Unternehmertum, aber auch zum sich herausbildenden
Bürgertum und zur Industriearbeiterschaft.
Den Nachfolgeregierungen (s.
Széll, Bánffy, Bild)
Kálmán Tiszas
gelang es nicht, die politische Dauerkrise zu lösen. Die Parlamentswahlen
1905 führten schließlich zu einer vernichtenden Niederlage der
regierenden Liberalen Partei. Aber auch den siegreichen Koalitions-parteien
(s. Kossuth, F., Bild
1, Bild 2), deren
Bindeglied nationale Forderungen wie z.B. die weitgehende Selbständigkeit
des ungarischen Militärs waren, gelang es unter der Führung von
Sándor Wekerle (1906-1910,
s. Bild) nicht, die
Probleme zu lösen.
Aufgerieben durch innere Konflikte, durch Konflikte mit den
Komitatsverwaltungen und durch Konflikte mit dem König, stellte sich
heraus, daß die Koalition keine substantiell anderen politischen Inhalte
vertrat als die früheren Regierungen. Die Koalition fiel in einen langsamen
Zerfallsprozeß und brach endgültig auseinander, als es nicht gelang,
eine selbständige ungarische Nationalbank zu schaffen.
Die Regierungsgewalt wurde nun von der neu gegründeten Nationalen Arbeitspartei
übernommen, deren Mitglieder im wesentlichen aus der ehemaligen Liberalen
Partei stammten. In ihr dominierten die Großgrundbesitzer, sie stellte
eine Art Sammelbecken aller Kräfte dar, die demokratische Forderungen
ablehnten. Die von den ehemaligen Koalitionsparteien im Parlament ausgeübte
Obstruktionspolitik endete damit, daß der Parlamentspräsident István
Tisza, der Sohn Kálmán
Tiszas und dessen Nachfolger als Regierungs-chef (s.
Bild) 1903-1905, die Oppositionsparteien gewaltsam (s.
Bild 1, Bild 2)
aus dem Parlament entfernen ließ. Tisza wurde im Juli 1913 erneut Ministerpräsident.