Die inneren Verhältnisse des Karpatenbeckens im 10. Jahrhundert
sind uns kaum bekannt; alles, was wir wissen oder zu wissen meinen, basiert
größtenteils auf Rückschlüssen, die aus der späteren
Entwicklung gezogen wurden. Gesichert scheint allerdings, daß die gesellschaftliche
(s. Bild 1, Bild
2, Bild 3, Bild
4, Bild 5, Bild
6, Bild 7) und politische
Organisation der Ungarn durch die Stämme (s.
Bild) und deren Untereinheiten, sowie durch das von den Chasaren übernommene
Doppelfürstentum geprägt wurde. Im ersten Jahrzehnt des 10. Jahrhunderts
ging mit dem Tod des kende Árpád,
der zur Zeit der Landnahme an der Spitze des ungarischen Stammesverbandes
stand, und seines Mitherrschers, des gyula Kurszán, das System des
Doppelfürstentums unter.
Die Beziehungen zwischen den ungarischen Stämmen wurden selbstverständlich
nicht abgebrochen, jedoch gingen die Stämme in politischen Angelegenheiten
ihren eigenen Weg. Beweise hierfür kann man darin sehen, daß die
Streifzüge nach der ersten Dekade des 10. Jahrhunderts offensichtlich
aus mehreren Zentren heraus gesteuert wurden, daß nach mißglückten
Streifzügen die einzelnen Stämme ebenfalls unabhängig voneinander
einen Ausweg suchten, und daß der Fürst des in Siebenbürgen
angesiedelten Stammes, Gyula, gegen 950 eine Reise nach Konstantinopel unternahm,
wo er sich taufen ließ und von wo er einen Missionsbischof mit in seine
Heimat holte.
Gyula schlug somit einen Weg ein, der seinen Stamm in religiöser
Hinsicht mit dem griechisch-orthodoxen Zweig des Christentums, in politischer
Hinsicht mit dem Byzantinischen Reich verband.
Die Árpáden
gaben ihren Anspruch auf die Herrschaft über alle Ungarn nicht auf, obwohl
ihre tatsächliche Macht sich nur über das Volk des eigenen Stammes
erstreckte. Eine Änderung dieser Lage trat nach der Niederlage in Augsburg
ein, danach konnten die Árpáden ihre Herrschaft allmählich
auch über andere ungarische Stämme ausbreiten. Um die Jahrtausendwende
standen die westlichen Teile des Karpatenbeckens bereits fest unter der Herrschaft
der Árpáden. Unterdessen bildeten sich in den östlichen
Gebieten weitere - mal miteinander rivalisierende, mal verbündete - Herrschaftszentren
heraus. Das nördliche Randgebiet der Ungarischen Tiefebene wurde von
den Kabaren besiedelt. Bei ihnen handelte es sich um ehemals chasarische Untertanen,
die sich den Ungarn angeschlossen hatten.
Siebenbürgen stand unter der Herrschaft des bereits erwähnten Gyula.
Und wahrscheinlich existierte um diese Zeit auch im südöstlichen
Teil der Ungarischen Tiefebene - auf dem durch die Maros, die Theiß,
die untere Donau und Siebenbürgen abgegrenzten Gebiet - ebenfalls ein
ähnliches Herrschaftsgebiet.