In der Zeit nach der Landnahme werden die Ungarn in den Quellen
vorwiegend in Verbindung mit ihren Feldzügen erwähnt, die sie gegen
west- und südeuropäische Länder geführt haben. In der
ungarischen romantischen Historiographie des 19. Jahr-hunderts wurden die
Streifzüge (s. Karte) in
ver-niedlichender Weise als "Abenteuer" (kalandozások) bezeichnet,
ein Begriff, der im ungarischen allgemeinen Bewußtsein auch heute noch
lebendig ist. Die zeitgenössischen Berichte bezeugen mindestens fünfzig
Streifzüge aus der Zeit zwischen 900 und 970. Bezeichnenderweise waren
zunächst die Nachbar-gebiete betroffen, doch seit Mitte des 10. Jahrhunderts
drangen ungarische Reiter (s.
Bild 1, Bild 2, Bild
3, Bild 4) in westlicher
Richtung bis zur Atlantik-Küste und nach Hispanien vor, im Süden
bis Apulien, teilweise sogar bis Konstantinopel. Der Grund für die anfänglichen
Erfolge der Streifzüge lag in der - in West- und Südeuropa - unbekannten
Kampfweise der Ungarn. Die schnelle, koordinierte Bewegung der Reiterscharen,
die über-raschenden Angriffe (s.
Bild) und andere Kriegslisten stellten ihre stark gepanzerten und deshalb
schwer-fälligen Gegner (s.
Bild) lange Zeit vor ein unlösbares Problem.
In etlichen Fällen waren die Ungarn von Westeuropäern für deren
Kampf gegen ebenfalls westeuropäische Feinde angeworben worden. Auch
sollten die Streifzüge
im Sinne einer offensiven Verteidigungsstrategie dazu beitragen,
die Herrschaft über das Karpatenbecken gegen die Ansprüche der Nachbarreiche
zu sichern. Dennoch steht kaum außer Zweifel, daß die Streifzüge
in erster Linie darauf gerichtet waren, Beute und Gefangene zu machen. Auf
diese Weise vermochten die Ungarn ihren Bedarf an Luxusgütern, die sie
selbst nicht produzieren konnten, abdecken. Unter diesem Gesichtspunkt kann
man die Streifzüge der Ungarn mit den Feldzügen vergleichen, die
früher die Hunnen, die Awaren, die Araber und die Normannen in Europa
geführt haben.
Die Streifzüge der Ungarn waren nicht immer erfolgreich: Ab und zu mußten
die "Abenteurer" kleinere oder größere Niederlagen einstecken.
Die 933 bei Merseburg erlittene Niederlage gehörte zu den größeren;
trotzdem konnte sie die Unternehmungslust der Ungarn nicht brechen. Diese
Rolle kam der Niederlage von 955 auf dem Lechfeld bei Augsburg (s.
Bild, Lehel, Bulcsu)
zu. Danach brauchten die Völker Westeuropas die Pfeile der Ungarn nicht
mehr zu fürchten. Die Angriffe in Richtung Süden jedoch wurden selbst
nach dieser Niederlage fortgesetzt. Erst 970 wurde auch diesen Streifzügen
ein Ende bereitet, und zwar als die Truppen eines zeitweiligen Bündnisses
der Ungarn mit den Russen, Bulgaren und Petschenegen bei Arkadiopolis von
den Byzantinern geschlagen wurden.