Károlyi
und sein für Nationalitätenfragen zuständiger Minister Oszkár
Jászi (s. Bild)
hatten sich auf Grund ihres Eintretens während des Krieges für die
Entente und im Vertrauen auf die 14 Punkte (s.
Bild) des amerikanischen Präsidenten Wilson nun, nachdem sie an die
Macht gekommen waren, eine wohlwollende Behandlung Ungarns in dieser Frage
erhofft. Oszkár Jászi hatte seine nationalitätenpolitische
Konzeption, die von Károlyi geteilt wurde, bereits in der Vorkriegszeit
theoretisch entwickelt. Sie war durch große Fort-schrittlichkeit, zugleich
aber auch durch Illusion gekennzeichnet. Der Fortschritt bestand darin, daß
man bereit war, den Nationalitäten ein Selbstbestimmungs-recht und eine
kulturelle, sprachliche und lokale Autonomie zu gewähren, sowie ihnen
selbstverständlich auch alle demokratischen Rechte zuteil werden zu lassen.
Die Illusion lag in der Hoffnung, die Gewährung demokratischer Rechte
allein würde die Nationalitäten (s.
Karte) bereits bewegen, bei Ungarn zu verbleiben, und die territoriale
Integrität Ungarns könnte damit gewahrt werden. Dabei hatten zu
diesem Zeitpunkt, Ende Oktober 1918, bereits zwei Nationalitäten, nämlich
die Kroaten und die Slowaken, ihre Loslösung von Ungarn deklariert.
Dennoch dominierte in der praktischen Politik, insbesondere
bei den im November und Dezember 1918 durchgeführten Verhandlungen mit
den Nationalitäten, das Beharren auf der territorialen Integrität,
die mit historischen, geographischen, ethnischen und wirt-schaftlichen Motiven
begründet wurde. Dieses Beharren führte auch zum Scheitern der Verhandlungen
mit den Rumänen Siebenbürgens, die auf ihrer National-versammlung
in Gyulafehérvár (Alba Julia) am 1.12.1918 den Anschluß
Siebenbürgens und der von Rumänen bewohnten Gebiete Ungarns an Rumänien
verkündeten. Diesem Beschluß stimmten später auch die Siebenbürgener
Sachsen zu.
Die Verhandlungen mit den anderen Nationalitäten erbrachten unterschiedliche
Ergebnisse. Es kam zu einer Einigung immer dann, wenn die Nationalität
relativ schwach war, wie z.B. die Ruthenen, oder aber zerstreut siedelte wie
die Deutschen. Siedelten jedoch die Nationalitäten relativ kompakt oder
besaßen starke konnationale Nachbarstaaten, wie die Rumänen, Slowaken,
Serben und Kroaten, führten die Verhandlungen zu keiner Einigung.