Die Zeit im Herbst und Winter 1989/90 wurde geprägt durch
den organisatorischen Aufbau einer Vielzahl von neuen politischen Parteien,
über 50 wurden registriert, und deren Vorbereitung (s.
Bild) auf die Wahlen. Die Parteien lassen sich grob in die Kategorien
nostalgische Parteien, national-christlich-konservative Parteien, neoliberal-radikaldemokratische
Parteien und sozial-demokratische Parteien einteilen. Das komplizierte Wahlrecht
mit einer Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht sowie einem
Mindestquorum sorgte dafür, daß bei den Wahlen am 25.3./8.4.1990
(s. Karte) nur sechs Parteien
ins Parlament gelangten:
MDF (Ungarisches Demokratisches Forum) 42,5%
SZDSZ (Bund der Freien Demokraten, s.
Bild) 24,1%
FKgP (Unabhängige Partei der Kleinen Landwirte) 11,1%
MSZP (Ungarische Sozialistische Partei) 8,6%
FIDESZ (Bund der Jungen Demokraten) 5,4%
KDNP (Christlich-Demokratische Volkspartei) 5,4%
Unabhängige und sonstige Kandidaten 2,9%.
Das Wahlergebnis führte zu einer Koalition der national-konservativ-christlichen
Parteien (MDF, FKgP, KDNP) unter Führung des Vorsitzenden des MDF, József
Antall (s. Bild).
Da die Umgestaltung des politischen Institutionen-systems bereits weitgehend
abgeschlossen war, manifestierte sich die konservative Politik der Antall-
Regierung vor allem in ideologisch relevanten Bereichen,
so z.B. in der nationalen Frage, in der Bildungs-, Kultur-, Kirchen- und Medienpolitik.
Das MDF benötigte für die Durchsetzung grundlegender Verfassungsänderungen
eine 2/3-Mehrheit im Parlament. Deshalb schloß es - ohne seine Koalitionspartner
zu beteiligen - am 29. April 1990 einen Pakt mit der stärksten Oppositionspartei
SZDSZ. Im Gegenzug stimmte das Forum für die Wahl des SZDSZ-Kandidaten
Árpád Göncz
zum Staats-präsidenten. Allerdings führte bereits die Kommunalwahl
im Oktober 1990 zu einer verstärkten Konfrontation zwischen den Regierungs-
und Oppositionsparteien, da der SZDSZ nach den unabhängigen Kandidaten,
die meist dem alten Apparat entstammten, zur stärksten Partei wurde,
während das MDF und die anderen Koalitionsparteien weit abgeschlagen
endeten.
Anerkennenswerte Erfolge konnte die Antall-Regierung auf dem Gebiet der Bildungs-
und Wissenschaftspolitik erzielen. Die Gesetzgebung schuf die Grundlagen für
einen tiefgreifenden Strukturwandel und die Modernisierung des Wissenschaftssystems.
Noch erfolgreicher war die von westeuropäischen Ländern als vorbildlich
qualifizierte Minderheitengesetzgebung, die den sehr verstreut siedelnden
Minderheiten in Ungarn umfangreiche Selbstverwaltungsrechte und kulturelle
Autonomie sichern.