Das Grundprinzip der ungarischen Sozialpolitik war es, den
ökonomischen Systemwechsel einerseits möglichst sozialverträglich
zu gestalten, andererseits aber die Gesellschaft durch starke Einschnitte
in das unfinanzierbar gewordene System der Sozialleistungen auch erheblich
zu belasten. Die Auswirkungen dieser Politik auf die Gesellschaft waren gravierend.
Die soziale Ungleichheit und damit die soziale Schichtung der ungarischen
Gesellschaft hat sich vergrößert. Der Lebensstandard ging innerhalb
weniger Jahre auf den Stand der 1970er Jahre zurück. Die Gesellschaft
ist von einem um sich greifenden Verarmungsprozeß betroffen. Galt Ungarn
in der Zwischenkriegszeit als das "Land der 3 Millionen Bettler",
leben heute etwa 1,5 Millionen Menschen unter dem offiziellen Existenzminimum
und weitere 2 - 2,5 Millionen an seiner Grenze oder nur knapp darüber.
Verlierer des Systemwechsels waren Rentner, junge Ehepaare mit Kindern, Arbeitslose
und Randgruppen, insbesondere aber die Zigeuner (s.
Karte), also alle Gruppen, denen es aus unter-schiedlichen Gründen
nicht möglich war, durch die gleichzeitige Ausübung mehrerer Tätigkeiten
zusätzliche Einnahmen zum Ausgleich des Kaufkraftverlustes zu erzielen.
Typisch war die Anhäufung von mehrfachen Benachteiligungen.
Die ungarische Gesellschaft hat sich durch das Auseinanderklaffen der Einkommensentwicklung
zu einer Drittel-Gesellschaft entwickelt.
Ein Drittel der Gesellschaft profitierte vom ökonomischen
Systemwechsel, darunter konnte ein Anteil von rund 10% sein Einkommen erheblich
verbessern. Ein gutes Drittel gehörte zu den Verlierern. Ein knappes
Drittel blieb infolge verstärkter Anstrengungen, zusätzlich Geld
zu verdienen, zwar relativ wenig betroffen, zeigte aber überwiegend negative
Entwicklungstendenzen, also soziale Abstiegserscheinungen.
Als besonders gravierendes gesellschaftliches Problem erwies sich die Entwicklung
der Arbeitslosigkeit (s. Karte).
Bei deren Anstieg spielte die Privatisierung selbst nur eine sehr geringe
Rolle; im Gegenteil, der private Sektor schuf neue Arbeitsplätze in großer
Zahl. Der Grund lag vielmehr in den unabdingbaren Modernisierungs- und Rationalisierungsmaßnahmen.
Die Arbeitslosigkeit weist bedeutsame regionale Unter-schiede auf. Besonders
hoch ist die Rate in den nordöstlichen, besonders niedrig in den zentralen
und westlichen Landesteilen. Die räumliche Verteilung der Arbeitslosigkeit
zeigt ebenso wie nahezu alle anderen ökonomischen und sozialen Indikatoren
(s. Karte) das für Ungarn
typische starke West-Ost-Gefälle.