Das Verfassungsgericht wurde auf Grund seiner gesetz-lich vorgesehenen
Verfahrensmöglichkeit zur präventiven Normenkontrolle und seiner
äußerst schnellen Arbeitsweise relativ häufig auch in laufende
Gesetzgebungsprozesse einbezogen. Es entschied aber auch in zahlreichen grundsätzlichen
Fragen über die Funktionsweise des politischen Systems, so z.B. hinsichtlich
der Befugnisse des Staatspräsidenten, und stellte klare und eindeutige
Schranken bestimmter Gesetze auf, so z.B. beim Entschädigungsgesetz.
Das Amt des Staatspräsidenten, das laut Verfassung ein eher geringes
politisches Gewicht besitzt, wurde durch die hohe persönliche und moralische
Integrität des Schriftstellers und Übersetzers Árpád
Göncz (s. Bild),
der sich mit seinen rechtlichen Bedenken häufig an das Verfassungsgericht
wandte, bevor er einem Gesetz zustimmte, stark aufgewertet. Sein Nachfolger,
der Jurist Ferenc Mádl,
übernahm das Amt im August 2000 und übt es mit einer vergleichbaren
Integrität aus.
Ambivalente, teils sogar negative Erscheinungen machten sich während
der gesamten Periode im Parteienwesen breit. Mit der in der Verfassung festgelegten
Rolle als das entscheidende Instrument der politischen Interessenvertretung
waren die Parteien häufig überfordert.
Die Krisenzeichen äußerten sich allgemein in einem
hohen Mitgliederschwund, in zahlreichen Führungs-kämpfen, einer
starken Personenbezogenheit, in einer häufig überideologisierten
und überpolitisierten Konfrontation und einem häufigen Fraktionswechsel
der Abgeordneten, insbesondere aber auch in der geringen Wahlbeteiligung,
einem Verlust an Glaubwürdigkeit und einer deutlich sichtbar gewordenen
Parteienver-drossenheit der Bevölkerung. Andererseits zeigten die Ergebnisse
aller Wahlen jedoch eine große Stabilität der Parteienlandschaft.
Im wesentlichen wurden die gleichen Parteien wiedergewählt; die zahlreichen
neuge-gründeten Parteien hatten keine Chancen, den Splittergruppen und
radikalen Parteien wurde eine deutliche Abfuhr erteilt.
Insgesamt gelang es Ungarn innerhalb bemerkenswert kurzer Zeit, alle politischen
Institutionen zu schaffen und funktionsfähig zu gestalten, die für
eine verfassungs-mäßige demokratische und marktwirtschaftliche
Ordnung kennzeichnend sind.