Bedingt durch die Einzigartigkeit der ungarischen Sprache in
Mitteleuropa ranken sich um die Herkunft der Ungarn (s.
Bild), d. h. um ihre sprachlichen und ethnischen Verwandten und um ihre
Urheimat, von alters her
Vorstellungen, die häufig mehr von Phantasie-
und Wunschvorstellungen (s.
Bild) als von wissen-schaftlich begründeten Tatsachen geprägt
sind. Das Spektrum reicht von der Gleichsetzung der Ungarn mit den Hunnen
über die Annahme einer Verwandtschaft mit türkischen und altaischen
Völkern sowie mit den Sumerern bis hin zu einer Verwandtschaft mit der
indianischen Urbevölkerung in Nord- und Südamerika.
Eine parallele Kontroverse läßt sich auch in der Diskussion über
den Ursprung der Finnen beobachten: Die Frage nach ihrer Herkunft war immer
ein Politikum und wurde im Laufe der Jahrhunderte je nach ideologischer Relevanz
unterschiedlich beantwortet. In älteren Zeiten wandte man das idealtypische
biblische Modell an, wonach die Finnen Magogs Nachfahren seien, oder Auserwählte,
die in das gelobte Land zogen. Heute kristallisieren sich die Meinungen um
zwei Grundauffassungen: Nach der klassischen finnougrischen Theorie wanderten
die Finnen aus der westsibirischen finnougrischen Urheimat über Nordosteuropa
in ihr heutiges Wohngebiet ein;
nach der Kontinuitätstheorie dagegen lebten die Finnen
immer schon in diesem Gebiet.
Bereits im 16. bis 18. Jahrhundert wurden Verwandtschaftsverhältnisse
zwischen einzelnen finnougrischen Sprachen, so auch zwischen dem Ungarischen
und dem Finnischen entdeckt, so z. B. von Martinus Fogelius, Johann Eberhard
Fischer, Ludwig August Schlözer, János
Sajnovics und Sámuel Gyarmathi. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts
wurden von Antal Reguly,
Matthias Aleksander Castrén und József Budenz systematische
Untersuchungen mit Hilfe der von der indoeuropäischen Sprachwissenschaft
entwickelten historisch-vergleichenden sprachwissen-schaftlichen Methoden
durchgeführt. Diese Untersuchungen führten zu einer Vorstellung
von den Verwandschaftsbeziehungen der finnougrischen bzw. uralischen Sprachen
in Form eines Stammbaumes, die in ihren Grundzügen noch heute gültig
ist. Mit Hilfe ständig verfeinerter Methoden gelang es im 20. Jahrhundert,
das Stammbaummodell auf eine solide wissenschaftliche Basis zu stellen und
auch den Grundwortschatz und die grammatikalischen Grundstrukturen der finnougrischen
bzw. uralischen Grundsprache zu rekonstruieren.