Die Umsiedlung der Ungarn in das Karpatenbecken war eine Art
Flucht und eine geplante Aktion zugleich.
Der Anstoß der Ereignisse, die den Einzug der ungarischen Stämme
in das Karpatenbecken unmittelbar hervorgerufen haben, war ein bulgarisch-byzantinischer
Krieg. Die Ungarn zogen als Verbündete des Byzan-tinischen Reiches ins
Feld und verzeichneten anfangs rasche Kriegserfolge. Doch schlossen die in
die Ecke getriebenen Bulgaren bald mit dem byzantinischen Kaiser einen Frieden
und verbündeten sich mit den Petschenegen, den östlichen Nachbarn
der Ungarn, einem Turkvolk. Die Bulgaren griffen die Kriegstruppen der Ungarn
an, die Petschenegen bestürmten ihre schutzlos gebliebenen Wohnorte.
Mit dieser Ver- änderung der Kräfteverhältnisse verließ
das Kriegsglück die Ungarn: Sie mußten von beiden Seiten schwere
Niederlagen hinnehmen. Irgendwann zwischen 894 und 896 (eine genauere Datierung
ist anhand der vor-handenen Quellen nicht möglich) rückten sie dann
hinter den natürlichen Schutzwall der Karpaten. Möglicherweise haben
einige Bevölkerungsteile bei ihrem Eindringen in das Karpatenbecken den
Weg über den Verecke-Paß gewählt, der in der Tradition der
ungarischen Ge-schichtsschreibung als Hauptroute der Landnahme gilt.
Das Karpatenbecken (s. Karte)
war für die Fortsetzung der von den Ungarn praktizierten Wirtschaftsform
optimal geeignet.
Auch war es relativ leicht zu erobern, da es sich im Randbereich
dreier großer, sich einander bekämpfender und dadurch auch geschwächter
Reiche (Bulgarisches Reich, Ostfränkisches Reich, Mährisches Reich)
befand, die nicht in der Lage waren, eine wirkliche Herrschaft über das
gesamte Gebiet auszuüben. Zudem war es nur schwach besiedelt.
Während der ersten Jahre unmittelbar nach der Landnahme - die bei weitem
nicht so siegesreich war wie in der Vorstellung des ungarischen Chronisten
Anonymus, der dreihundert
Jahre später eine romanhafte Geschichte der Landnahme lieferte - kam
es zur Besiedlung des östlichen Teils des Karpatenbeckens bis an die
Donau. 899 beteiligten sich die Ungarn an einem Kriegszug gegen den italienischen
König Berengar auf Seiten des ostfränkischen Königs Arnulf.
Im nächsten Jahr besetzten die ungarischen Krieger auf ihrem Rückzug
das bislang unter fränkischer Herrschaft stehende Pannonien. Damit war
die Inbesitznahme des gesamten Karpatenbeckens abgeschlossen. Nach dem Sieg
907 bei Brezalauspurc (Preßburg/Bratislava) über die fränkischen
Truppen, die Pannonien zurückerobern wollten, haben die Ungarn in ihrer
neuen Heimat endgültig festen Fuß gefaßt.