Einbindung historischer Karten in raumbezogene historische Informationssysteme (RHIS)

Unter dem Begriff "raumbezogenes historisches Informationssystem" (RHIS) wird hier ein solches Informationssystem verstanden, das durch die Anwendung der GIS-Technologie auf die Geschichtswissenschaft erarbeitet wurde. Anmerkung 11 Für die Geo-Informationssysteme (GIS) wurde ein reiches methodisches Arsenal erarbeitet Anmerkung 12, (vgl. auch Bill/Fritzsch) dessen Einsatzmöglichkeiten in der geschichtswissenschaftlichen Forschung und Lehre außerordentlich vielfältig sind Anmerkung 13, die jedoch bis jetzt nur wenig genutzt wurden. In den Geo-Informationssystemen kommt der Karte eine grundlegende Bedeutung zu. In dem gleichen Maße besitzt die historische Karte in den raumbezogenen historischen Informationssystemen einen Grundlagencharakter. Sie stellt meist in transformierter und auch in vektorisierter Form die Ausgangsgrundlage dar. Die Einbeziehung historischer Karten in raumbezogene historischen Informationssysteme eröffnet für ihre Auswertung eine Reihe neuer methodischen Möglichkeiten. Diese neue Forschungsrichtung wird für die historische Kartographie, für die historischen Geographie und darüber hinaus auch für andere Bereiche der Geschichtswissenschaft eine nicht geringe Bedeutung erlangen.

Die Verbindung der historischen Karten mit Datenbanken, in denen quantitative Angaben in Form von historischen Statistiken und verbale Informationen enthalten sind, und darüberhinaus ihre Verbindung mit historischen Bilddokumenten in Form von Rasterdateien sowie mit erklärenden Tondokumenten und Videosequenzen, ermöglicht den Aufbau von multimedialen raumbezogenen historischen Informationssystemen, die vor allem in der geschichtswissenschaftlichen Lehre angewendet werden können. Raumbezogene historische Informationssysteme sind auch für die geschichtswissenschaftliche Forschung relevant, da sie eine effektivere Analyse raumzeitlicher Strukturen erlauben als die traditionellen Methoden. Außerdem können mit ihrer Hilfe Informationen gewonnen werden, die mit der Anwendung traditioneller Methoden nicht möglich ist.

Das Kernstück eines raumbezogenen historischen Informationssystems bildet die Verbindung der historischen Karte mit einer Datenbank. Bei der Erarbeitung von raumbezogenen historischen Informationssystemen werden demzufolge jene historischen Karten im Vordergrund des Interesses stehen, bei denen sich eine solche Verbindung anbietet. Es gibt eine Reihe von Kartenwerken, zu denen auch Landeseschreibungen angefertigt wurden, zu denen gehört z. B. die Josephinische Aufnahme, zu der eine umfangreiche, systematische Beschreibung (1783-1785) angefertigt wurde. Für Mecklenburg wurde die erste systematische Beschreibung von Bertram Christian von Hoinckhusen um 1700 verfaßt, die er seinem Mecklenburg-Atlas beifügte. Anmerkung 14 Für Vorpommern wurde eine systematische Beschreibung mit den schwedischen Matrikeln in den Jahren 1692-1709, die auch Gemarkungskarten beinhalten, erarbeitet. Anmerkung 15 Der Inhalt solcher Beschreibungen läßt sich in Datenbanken erfassen, deren Angaben ausgehend von der historischen Karte angezeigt werden können. Mit der GIS-Technologie können auch Hybrid-Dateien (Raster- und Vektordateien) verwaltet werden, dadurch besteht für die Einbindung historischer Karten in ein raumbezogenes historisches Informationssystem die interessante Möglichkeit, die vektorisierten Elemente der historischen Karte können unsichtbar hinter der Rasterdatei verborgen werden. Die datenbankbezogenen Abfragen können demzufolge von der ursprünglichen historischen Karte aus erfolgen.

Eine weitere wichtige methodische Möglichkeit zur einer effektiveren geschichtswissenschaftlichen Analyse wird von den raumbezogenen historischen Informationssystemen durch die datenbankgesteuerte Visualisierung angeboten. Die Umsetzung statistischer Angaben in graphische Attributen erfolgt automatisch, aber mit interaktiver Steuerung. Die von der Datenbank gesteuerte Visualisierung von qualitativen Angaben ist ebenfalls möglich. Diese Verfahrensweise wird hier am Beispiel des Informationssystem "Stralsund 1706/07" erläutert, das gegenwärtig noch in Bearbeitung befindet. Die Ausgangsgrundlage bildet die Stadtaufnahme von 1706/07, die sowohl einen kartographischen Bestandteil in Form von Häuserblockzeichnungen als auch statistische und sonstige, in einer Datenbank erfaßbaren Angaben enthält. Anmerkung 16 Die Stadblockzeichnungen wurden Michael Jager 1980 zu einer Gesamtkarte zusammengefügt. Ein Beispiel für die Stadtblockzeichnungen enthält die Abbildung 5. Die Auswertung der umfangreichen Angaben, die sämtliche Gebäude und Grundstücke detailliert beschreiben sowie ihre Erfassung in Datenbänken wurde von Stefan Kroll vorgenommen. Diese Angaben wurden durch die Auswertung der Haussteuerverzeichnisse von 1706 und 1707, die vor allem zusätzliche Informationen zu den Mietern liefern, komplettiert. Anmerkung 17 Die Abbildung 6 zeigt ein Beispiel aus den zahlreichen Visualisierungsmöglichkeiten dieser Daten. Raumbezogene stadthistorische Informationssystemen stellen ein sehr effektives Instrument für die stadtgeschichtliche Forschung dar. Sie eignen sich besonders gut für die Analyse sozialtopographischer Strukturen. Auch hier besteht die oben angedeutete Möglichkeit, historische Karten in raumbezogene historische Informationssysteme zur Präsentation einzubeziehen. Die Vektordateien des Informationensystems "Stralsund 1706/07" lassen sich hinter einer anderen zeitgenössischen Karte die kartographisch attraktiver ist, als die Grundlagekarte des Informationssystems ist, verbergen. In diesem Fall könnte man die Karte Stralsunds von Johannes Staude Anmerkung 18, die eine perspektivische Darstellung der einzelnen Gebäude zeigt, in den Vordergrund stellen. Ausgehend von dieser Karte kann dann die Anzeige der einzelnen Inhaltselemente der Datenbank erfolgen. Beispielsweise können durch die Visualisierung der Ödplätze (Abb. 6) in dieser Karte jene Gebäude besonders markiert werden, die durch den Stadtbrand vom 1680 vernichtet wurden. Solche Einbindung der historischen Karte in das Informationssystem kann über die reine Präsentation hinausgehen und für den Kartenhistoriker eine interessante Möglichkeit zu einer kritischen Untersuchung der betreffenden Karte anbieten. Die Einbindung einer historischen Karte mit Presäntationsfunktion kann in ein multimediales Informationssystem auch in einer anderen Form vorgenommen werden. In diesem Fall stehen die Vektordateien im Vordergrund. Ausschnitte aus der attraktiven oder zusätzliche kartographische Informationen beinhaltenden historischen Karte werden mit dem Vektordateien als externe Dateien über die Datenbank objektbezogen verbunden. Mit dem Anklicken einzelner Objekte werden diese Ausschnitte, z. B. perspektivische Ansicht von Gebäuden oder ganzen Straßenzügen, angezeigt.

Die Erarbeitung eines zeitlich umfassenden multimedialen stadthistorischen Informationssystems ist zunächst für Rostock vorgesehen. Die Grundlagen dazu sollen im Rahmen einer interdisziplinären Lehrveranstaltung unter der Leitung von Kersten Krüger, Gyula Pápay (Universität Rostock, FB Geschichtswissenschaften) und Dietmar Jackèl (Universität Rostock, FB Informatik) erarbeitet werden. Das kartographische Ausgangsmaterial wird dafür die Karte von Tarnow bilden Anmerkung 19 , in der die Lage der einzelnen Grundstücke und der Namen ihrer Besitzer verzeichnet ist. Diese Karte wurde bereits in sozialtopographische Untersuchungen einbezogen. Anmerkung 20

Die Erarbeitung von sowohl zeitlich als auch räumlich umfassenden Informationssystemen, wie z. B. von historische Landesinformationssystemen, die mehrere Jahrzehnte umfassen, wurde erst mit dem Aufkommen systematischer Landesstatistiken möglich. Für Mecklenburg-Schwerin liegen solche Angaben seit 1776 in den "Großherzoglich Mecklenburgisch-Schwerinischen Staatskalendern" vor. Zu der Auswertung dieser umfangreichen statistischen Angaben, die sich in erheblichem Umfang auf einzelne Gemeinde beziehen, werden historische Karten benötigt, in denen die Gemeindegrenzen dargestellt sind. Um diese Karten als Quelle in ein RHIS einbinden zu können, müssen sie anhand von aktuellen topographischen Karten transformiert und vektorisiert werden. Für Mecklenburg ist es ein besonders glücklicher Umstand, daß historische Karten mit der Darstellung der Gemeindegrenzen bereits aus der Anfangszeit der statistischen Erhebungen vorliegen. Von Wiebeking wurde um 1786 ein Kartenwerk aus den Flurkarten von 1765/80 abgeleitet, in dem die Gemeindegrenzen erkennbar sind. Anmerkung 21 Am Ende des 19. Jahrhunderts wurden die historischen Gemeindegrenzen anhand der Meßtischblättern in Grundkarten erfaßt. Anmerkung 22 Diese historischen Grundkarten stellen ebenfalls eine wichtige Quelle für die Erarbeitung von raumbezogenen historischen Informationssystemen dar. Die Konzeption für raumbezogene Landesinformationssysteme wurde vom Verf. an einer anderen Stelle bereits vorgestellt Anmerkung 23, demzufolge braucht hier darauf nicht mehr ausführlich eingegangen werden. Hier sie lediglich nur ein, in bezug auf die Kartographiegeschichte wichtiger Aspekt erwähnt werden, daß die Einbeziehung historischer Karten in raumbezogene historische Informationssysteme zur Gewinnung neuer Informationen führen kann. Neue Informationen können z. B. schon dadurch gewonnen werden, daß die Fläche der Gemeinden anhand der historische Gemeindegrenzen berechnet werden kann. Die Verbindung der Flächenangaben mit den Bevölkerungszahlen ermöglicht die Berechnung der Bevölkeungsdichte. Die Ergebnisse von Flächenverschneidungen können ebenfalls quantitativ erfaßt werden.

Zusammenfassend kann man feststellen, daß historische Karten in raumbezogene historische Informationssysteme zwei grundlegende Funktionen besitzen. Sie können als Ausgangsgrundlage räumlicher Analysen dienen oder sie erfüllen eine Repräsentationsfunktion. Beide Funktionen können auch kombiniert auftreten. Durch diese neue Funktionen von historischen Karten entsteht für die Kartographiegeschichte eine neue Aufgabe, aus der Vielzahl von historischen Karten, die in vielen Fällen nur handschriftlich überliefert sind, diejenigen zu ermitteln, die zur Erfüllung dieser Funktionen optimal geeignet sind.

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