04. September 1967
51, 8 Tag der Arbeit - s.K. 44, 29.

51, 9-15 Das sollen wir ... auf Seite Eins - Vgl. den Artikel »Party is Accused by Czech Writers« der NYT vom 4.9.1967: »More than 300 Czechoslovak intellectuals have accused the Communist party in their country of conducting a ›witchhunt of a pronounced Fascist character‹ against ›the entire Czechoslovak writers' community‹.
The accusation was made [...] in a ›writers’ manifesto.‹
The 1,000 word statement appealed to writers in the West, particulary those of ›leftist‹ sympathies to join in a protest campaign against restrictions on the freedom of expression of Czechoslovak writers [...]
The statement then appealed by name to Arthur Miller and John Steinbeck of the United States, Jean-Paul Sartre and Jacques Prévert of France, Bertrand Russell and John Osborne of Britain, Günter Grass and Heinrich Böll of West Germany, the German-born Peter Weiss, Alberto Moravia of Italy and the Soviet writers Ilya Ehrenburg [...], Aleksandr Solzenytsin, Yevgeny Yevtusenko und Andrei Voznesenski.«
Wie Gesine und noch jemand vermutet, war das »Manifest« eine Fälschung eines Ivan Pfaff aus Prag, zuerst am 3 9.1967 in der Londoner »Sunday Times« veröffentlicht. Günter Grass, weniger skeptisch als Gesine, protestierte in einem an Novotny gerichteten »Offenen Brief« in »DIE ZEIT« vom 5.9.1967, worauf sich ein intensiver Briefwechsel zwischen Pavel Kohout, der die Echtheit des Dokuments bezweifelte, und Grass entwickelte; vgl. Grass - Kohout (1968).

51, 11-14 Schriftsteller John Steinbeck ... nicht übel gefallen - John Ernst Steinbeck (27.2.1902-20.12.1968), amerik. Schriftsteller; reiste Ende 1966 nach Saigon, um für die Zeitung »Newsday« eine Serie von Kriegsberichten zu schreiben. Bei einem Flug mit einem Armeehubschrauber schoß er u.a. mit einem Granatwerfer. »Als ihm Sowjet-Lyriker Jewgenij Jewtuschenko letzten Sommer öffentlich zu einer Verurteilung der amerikanischen Bombenangriffe auf Nordvietnam aufforderte, antwortete der Nobelpreisträger seinem russischen Freund, er solle mit ihm gemeinsam nicht nur die ›amerikanische Hälfte‹ des Krieges, sondern ›diesen ganzen Krieg, der von China angestiftet wurde‹ verdammen«, DER SPIEGEL 1.9.1967; S. 87.

51, 16-19 Die Viet Cong ... bombardierten bei Hanoi - Vgl. den Artikel »Terrorists Kill 26 During Voting« der NYT vom 4.9.1967: »The Vietcong staged a series of election day terrorist attacks and shellings today in which at least 26 South Vietnamese were killed and 82 wounded. [...]
During the day, Air Force fighter bombers attacked the Huongvi rail yard, 37 miles northeast of Hanoi, the Quangkien rail causeway, 39 miles northeast of Hanoi, and the Motrang rail bridge and yards, 39 miles northeast of the capital.«

51, 16 Wahltag in Südvietnam - Bei den Wahlen erhielten mit 27% der amtierende Präsident Nguyen Van Thieu als Kandidat der Armee und der amtierende Premier Nguyen Cao Ky die meisten Stimmen; s.K. 13, 14f.

51, 21-23 Die New York ... unterwegs, stehende Autos - Das Foto mit dem Text »Soldiers and Sailors Monument at Riverside Drive and 89th Street and the surrounding area appear almost uninhabitated« gehörte zu dem Artikel »Airborne Sightseers Enthralled as Smoke and Smog Also Take a Labor Day Holiday«; vgl. NYT 4.9.1967.

51, 24 Näher, Arkadien, zu dir - Verschränkung zweier Anspielungen: auf das häufig bei Begräbnissen gesungene Kirchenlied »Näher, mein Gott, zu dir« und den im 18. Jh. besonders als Grab- und Bildinschrift beliebten Spruch »Et in Arcadia ego«. Der Spruch wurde durch Landschaftsbilder von Guercino und Nicolas Poussin, wo er einen Grabhügel ziert, bekannt und ist u.a. in den Werken von J.G. Jacobi, Wieland, Herder, Goethe (steht der Erstausgabe der »Italienischen Reise« 1816 und 1817 voran), Schiller und E.T.A. Hoffmann zu finden. Der Grabspruch hat einen deutlichen Bedeutungswandel erfahren. In den frühen Deutungen wird »Auch in Arkadien bin ich zur Stelle« dem Tod als Aussage zugeschrieben. Spätere Interpretationen deuten »Auch ich war in Arkadien« im Hinblick auf den Toten, der auch einmal glücklich war. Arkadien galt in der Klassik und Romantik nach dem von Vergil ersonnenen Vorbild als Synonym für eine Idylle; der Spruch hat sich in der dt. Literatur des 18. Jh.s von der Bindung an das Grab gelöst.
»Näher, mein Gott, zu Dir« ist eine Übersetzung des engl. Liedes »Nearer, my God, to Thee«, Text: Sarah F. Adams, Melodie: Lowell Mason. Es erzählt in fünf Strophen Jakobs Traum von der Himmelsleiter (1. Mose 28, 10-22).
    Nearer, my God, to Thee, nearer to Thee!
    E'en tho it be across That raiseth me;
    Still all my song shall be,
    Nearer my God to Thee, Nearer, my God, to Thee, Nearer to Thee!
s. 151, 29.

51, 27 großen Seen - Die Großen Seen (Great Lakes), bestehend aus Lake Superior, Lake Michigan, Lake Huron, Lake Erie und Lake Ontario, bilden die größte zusammenhängende Binnenwasserfläche Nordamerikas; s.K. 1051, 1.

51, 31-54,11 Vom Riverside Drive … dünneren Schlaf dringen – Vgl. das 1967 in New York entstandene Typoskript »Beschreibung der Upper West Side«, das Johnson seinem Brief vom 12.3.1968 an Hannah Arendt beigelegt hatte; in: Arendt/Johnson (2004), S. 190-211, insbesondere S. 193-195. Der Text erschien unter der Überschrift »Ein Teil von New York« in Neue Rundschau 80 (1969), S. 261-274.

52, 8 Fifth Avenue - Teure Geschäfts- und Einkaufsstraße in Manhattan; s.K. 119, 20; 790, 9f.; 1545, 18.

52, 12 Aussicht auf den Fluß, die wüsten Wolken Wald - Nach der orthodoxen Grammatik könnte man hier ein Komma vermissen.

52, 16-21 Hier wohnten solche ... zwölf kaufte, 1913 - William Randolph Hearst (29.4.1863-14.8.1951), amerik. Zeitungsverleger, wohnte ab 1907 in den Clarendon Apartments, 137 Riverside Drive. Sein Unternehmen, das bei seinem Tod 38 Zeitungen und Zeitschriften und eine Nachrichtenagentur umfaßte, wurde von seinem Sohn und seinem Enkel weitergeführt; s.K. 513, 36.

52, 23 Weiße, Angelsachsen, Protestanten - Abgekürzt: WASPS - White Anglo-Saxon Protestants; ein von dem amerik. Soziologen Edward Digby Baltzell (14.11.1915-17.8.1996) popularisierter Begriff, der zwar schon 1957 nachgewiesen ist, aber erst durch Baltzells Buch »The Protestant Establishment: Aristocracy & Caste in America«, 1964, allgemein gebräuchlich wurde; s. 574, 2-5; 842, 30f.

52, 23-30 Straße für Weiße ... Haushalt in Kisten - »After the Civil War the West Side was populated mainly by Protestants, a minority group now known as the WASPs (White Anglo- Saxon Protestants). [...] The Jews arrived in force shortly after World War I, many of them moving down from the then highly desirable residential sections of Harlem along Lenox Avenue and its side streets. Others, 'cloak-and-suiters,' as the Irish called them, with the beginnings of their fortunes made, came from the lower East Side and Chelsea. [...] The rise of Hitler in Germany during the thirties accelerated the influx of Jews to New York City and to the West Side in particular, to the point where they far outnumbered the Irish minority. The politician Dennis Mahon [...] recalled [...] watching the flat-bed trucks roll up to the warehouse loaded with huge crates marked 'Essen,' 'Hamburg,' 'Wiesbaden,' 'Düsseldorf.' Their contents were 'marvelous to behold,' he said, the most magnificent, finely wrought furniture he had ever seen«; vgl. Lyford (1966), S. 4f., der hier von der Oberen Westseite spricht.

52, 26f. unteren Ostseite - Lower East Side; Gebiet in Manhattan zwischen 14. Straße, East River, Fulton und Franklin Street, Pearl Street und Broadway; Ende des 19. Jh.s überwiegend von Juden und osteuropäischen Einwanderern bewohnt, nach dem 2. Weltkrieg zogen besonders Schwarze und Puertorikaner zu. In den sechziger Jahren war die Gegend vor allem durch Armut, Kriminalität, Drogen geprägt, es gab viele verlassene Häuser.
Im Gegensatz dazu ist die Upper East Side zwischen 96. Straße, East River, 59. Straße und 5. Ave., gegen Ende des 19. Jh.s vorwiegend von Deutschen, Iren und anderen Mitteleuropäern bewohnt, ein wohlhabender Stadtteil mit vielen Luxus-Appartementhäusern.

53, 10-37 Der Riverside Drive ... als beinahe sicher - »The middle-class population is concentrated on Central Park West, Eighty-sixth Street, Riverside Drive, and West End Avenue. [...] The most noticable characteristic of the middle-class sections, besides the markedly superior housing, is the relative peace of the sidewalks. These sections are well patrolled by foot policemen, and the doormen and watchful superintendents in most of the buildings reduce the chances of burglary and assault«; Lyford (1966), S. 103.

53, 11f. Witwe des Präsidenten Kennedy - Jacqueline Lee (»Jackie«) Bouvier Kennedy (28.7.1929-19.5.1994), Studium am Vassar College und der Sorbonne, Fotoreporterin des Washington Times Herald, heiratete am 12.9.1953 John F. Kennedy (s.K. 24, 36), der 1963 ermordert wurde; am 20.10.1968 den griech. Reeder Aristoteles Onassis; arbeitete nach dessen Tod 1975 in New York als Lektorin; s.K. 434, 8-10; 1325, 18-25.

53, 14 Gräfin Seydlitz - Versteckter Hinweis auf die mit Johnson befreundete Politologin und Philosophin Hannah Arendt (14.10.1906-4.12.1975), die gleichfalls am Riverside Drive wohnte (Nr. 370). Johnson wollte sie in JT auftreten lassen, was sie ihm aber untersagte.
Arendt promovierte 1929 bei Karl Jaspers; emigrierte 1933 nach Frankreich; lebte seit 1940 in den USA; hatte von 1963-67 eine Professur in Chicago, seit 1967 in New York. Sie wurde vor allem durch ihre Forschungen zum Totalitarismus (»The Origins of Totalitarianism«, 1951; dt. »Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft«, 1955) sowie ihr Buch »Eichmann in Jerusalem: A Report on the Banality of Evil«, 1963 (dt. »Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen, 1964) bekannt.
Hannah Arendt war seit 1940 mit Heinrich Blücher (1899-1970) verheiratet; er war 1919 der KPD beigetreten, 1933 nach Paris, 1941 nach New York emigriert und lehrte seit 1950 an der New School for Social Research, seit 1952 am Bard College Philosophie.
Die Anspielung erfolgt über den Namen ihres Mannes und die Assoziation an volkstümliche preußische Generäle: Blücher wird durch Seydlitz ersetzt. General Gebhard Leberecht Blücher, Fürst von Wahlstatt (16.12.1742-12.9.1819), besiegte die Franzosen an der Katzbach, nahm an der Völkerschlacht bei Leipzig teil und schlug mit den alliierten Truppen 1815 Napoleon bei Waterloo. General Friedrich Wilhelm von Seydlitz (3.2.1721-8.11.1773) führte die preußische Kavallerie im Siebenjährigen Krieg, wo er entscheidend zu den Siegen bei Roßbach (1757) und Zorndorf (1758) beitrug. Sein Name steht in der preußischen Geschichte auch für verantworteten Widerspruchs- und Widerstandsgeist.
Ohne den Namen zu erwähnen, wird auf einen weiteren General dieser Familie verwiesen (s.K. 1627, 31f.)
Zur Auseinandersetzung um die Namensnennung vgl. Johnsons Briefwechsel mit Hannah Arendt, in Arendt (2004), S. 26, 32, 36-47; vgl. auch Thomas Wilds Nachwort S. 301-332. In einem Vorabdruck der JT im »Merkur«, Heft 7/1970, S. 664, wird Hannah Arendt namentlich genannt, seit der Erstausgabe des Romans heißt die Figur »Gräfin Seydlitz«. An dem Pseudonym gefielen ihr weder der aristokratische Titel noch die Unkenntlichkeit ihrer jüd. Herkunft, vgl. Arendt (1993), S. 65; Arendt (2004), S. 164. Ihr Name erscheint dennoch in den JT - mit Hilfe eines Zitates aus der NYT (s.K. 467, 19-21); vgl. Wizisla (2014).
Johnson schätzte Hannah Arendt für ihre - wie er es in seinem Nachruf nannte - »Tapferkeit vor dem Freunde« (ein Zitat aus Ingeborg Bachmanns Gedicht »Alle Tage«); vgl. Brief an Hannah Arendt-Blücher und Heinrich Blücher vom 4.7.1970, in: Fahlke (1994), S. 206f.; vgl. Johnson, Mir bleibt nur; s.K. 873, 8-874, 2; 1210, 21-32; 1663, 31-35; s. 75, 21-23; 467, 19-21; 628, 3; 648, 27; 16. 3. 1968; 1210, 20-31; 1449, 13-18;1739, 4f.

53, 14f. der Schriftsteller Ellison - Ralph Waldo Ellison (1.3.1914-16.4.1994), amerik. Autor, wohnte seit 1967 am Riverside Drive; wurde bekannt durch den pikaresken Roman »Invisible Man«, 1952 (dt. »Unsichtbar«): die Frustrationen eines idealistischen jungen Schwarzen, der sich, von den Weißen nicht anerkannt, nicht »gesehen«, in ein Zimmer zurückzieht, d. h. »unsichtbar« wird, aber dort im Schreiben seine Sprache findet.

53, 20 Denkmälern des Wohlstands - s.K. 26, 32.

53, 28 Mieten durch ein ... dem Kriege eingefroren - Mietpreise wurden in New York City seit den 20er Jahren reguliert, 1929 und 1939 gesetzlich neu geregelt und während des Kriegs durch das Office of Price Administration eingefroren (1942, 1943). Mieterhöhungen nach dem Krieg führten 1947 zu neuen Regulierungen für bis zu diesem Zeitpunkt errichtete Wohnungen; s.K. 575, 5f.; s. 548, 27.

54, 1f. Denkmal der Soldaten und Seeleute - Soldiers' and Sailors' Monument, ein Denkmal in Form eines 30m hohen, runden griech. Tempels im Riverside Park auf der Höhe der 89. Straße, 1900-02 erbaut. Ein Artikel der NYT vom 4.9.1967, über New York aus der Luft betrachtet, auf den sich 51, 20-23 bezieht, zeigt ein Foto des Tempels; s.K. 1244, 11-13.

54, 5f. Schnellstraße am Hudson - s.K. 21, 35.

54, 10 der Eisenbahn unter den Parkwülsten - Die 1846 gegr. Hudson River Railroad verläuft zwischen dem östlichen Flußufer und dem Riverside Drive und führt von Manhattan nach Renselear. Die Strecke war vor allem wegen der Gütertransporte für die Entwicklung der Upper West Side wichtig; s.K. 47, 16.

54, 11 Hier wohnen wir - s. 1191, 16.