Pressemitteilung 242-01 vom 01. Dezember 2001
Geisteswissenschaftlicher Wettbewerb durch Bildungsministerium gefördert


Das Bildungsministerium fördert geisteswissenschaftliche Forschungsprojekte an den Hochschulen zum Thema "Mare Balticum - Eine europäische Zukunftsregion in Vergangenheit und Gegenwart". "In einer Zeit verstärkter Technologieförderung sind die Geisteswissenschaften in ihrem Bemühen um Innovation und Internationalität zu unterstützen", so BM Prof. Peter Kauffold.
    Drei Forschungsvorhaben wurden in einem Wettbewerb ausgewählt. In ihnen werden vielfältige Kooperationen mit zahlreichen Universitäten und Hochschulen der Ostseeanrainerstaaten stattfinden. Neben der Förderung der auf den Ostseeraum bezogenen internationalen wissenschaftlichen Kooperation ist ein weiteres Ziel des Wettbewerbs, Impulse für die Entwicklung größerer innovativer Forschungsprojekte zu setzen. Deren weitere Finanzierung soll dann u. a. bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) beantragt werden. Im Greifswalder Projekt "Land und Meer - Kommunikation und Integration im Ostseeraum" wird die Entwicklung von Küstengesellschaften untersucht. Der Forschungsverbund unter der Leitung von Prof. Christian Lübke, Prof. Michael North und Prof. Werner Stegmaier fragt nach der Genese von Kultur und Wirtschaft, philosophischem Denken und Werteentwicklung in einem Raum, der stets auf besondere Weise durch seine Meere und Flüsse getrennt, aber auch verbunden wurde.

Das Projekt in Rostock "Städtesystem und Urbanisierung im Ostseeraum der Neuzeit - Historisches Informationssystem und Analyse von Demografie, Wirtschaft und Baukultur im 17. und 18. Jahrhundert" (Leitung: Prof. Kersten Krüger, Prof. Gyula Pápay) verbindet auf sehr interessanter Weise geschichtswissenschaftliche Fragen zur vergleichenden Stadtgeschichte im Ostseeraum mit der Entwicklung eines innovativen Informationssystems. Die im Projekt gewonnenen Erkenntnisse werden in digitalisierten Karten Auskunft geben über die sozialen Strukturen in Städten des Ostseeraumes. Während das historische Material in Rostock, Wismar und Greifswald aufbereitet wird, ermöglichen Rostocker Informatiker die Nutzung und weitere Bearbeitung via Internet für die wissenschaftlichen Kooperationspartner im Ostseeraum. Im dritten Projekt an der Hochschule Wismar geht es um "Kriminalität, Strafrechts- und Strafvollzugsentwicklung im Ostseeraum". Dieses Forschungsvorhaben unter der Leitung von Prof. Frieder Dünkel (Universität Greifswald) untersucht in vergleichenden Studien u. a. Gewalterfahrungen von Jugendlichen, die Kriminalitätsentwicklung sowie Lebens- und Haftbedingungen im Strafvollzug in Mecklenburg-Vorpommern und in mehreren Ostseeanrainerstaaten vor dem Hintergrund tief greifender gesellschaftlicher Wandlungsprozesse.
Geisteswissenschaftlicher Wettbewerb


1 Zusammenfassung

Die verlorene Einheit des Ostseeraums gilt es im 21. Jahrhundert wieder zu gewinnen. Der historische Rückblick auf Epochen, als die Ostsee mit ihren Anliegern einen einheitlichen Wirtschafts-, Aktions- und Kulturraum bildete, kann dazu beitragen. Besondere Beachtung verdient der letzte Abschnitt dieser Einheit, als die schwedische Großmacht durch gezielte Urbanisierungspolitik eine gesellschaftliche Modernisierung in Gang setzte. Das bestehende Städtesystem wandelte sich durch diesen als Europäisierung verstandenen Prozess ebenso wie durch militärische Erfordernisse der Großmacht. Festungsbau und Garnisonen traten als Standortfaktoren zur Wirtschaft hinzu. Es ist zu vermuten, dass die damit einher gehende Vereinheitlichung der Baugestalt auch im Bewusstsein der Bürger und Einwohner Spuren hinterließ.

 

Ziel des Projektes ist die Analyse der Urbanisierung, des Städtesystems und seines Wandels im schwedischen Ostseeraum im 17. und 18. Jahrhundert. Die Ergebnisse sollen sowohl in einem Historischen Informationssystem wie in einem Sammelband dokumentiert werden. Das Informationssystem soll Karten, Datenbanken, Grafiken und Texte verknüpfen und für gegenwärtige wie zukünftige Forschung zur Verfügung halten. Im Verbund arbeiten im engeren Kreis die Hochschule Wismar, die Universität Rostock und die Universität Greifswald zusammen.


2 Historischer Rückblick

Wasser trennt nicht, Wasser verbindet. Diese Erfahrung und Weisheit machte die Ostsee für Jahrhunderte zu einem Schnellverkehrsweg, der das Baltikum zu einem einheitlichen Aktionsraum für Wirtschaft, Kultur und Politik machte. Siedlungskammern, Regionen und Landschaften fanden ihre natürlichen Grenzen in den umgebenden unwegsamen Wäldern, während Gewässer Kommunikation und Interaktion ermöglichten. Erst die Moderne - als auf Kunststraßen und Eisenbahnen schnellerer Verkehr floss - erlaubte es, Gewässer als natürliche Grenzen zu definieren und zu handhaben. Schließlich zerstörten die konkurrierenden Nationalbewegungen und die ihnen folgenden Nationalstaaten des 19. und 20. Jahrhunderts die Einheit des Ostseeraums, indem sie ihn politisch und wirtschaftlich zerstückelten. Die Konfrontation der Großmachtblöcke machte unter den Bedingungen des Kalten Krieges sogar große Teile der Ostsee zum Mare clausum. Erst seit Ausgang des 20. Jahrhunderts besteht wieder Hoffnung auf Wiedergewinnung der verlorenen Einheit des Ostseeraums, die zu gestalten das 21. Jahrhundert aufgerufen ist. In vorchristlicher Zeit waren die militärischen wie kommerziellen Aktivitäten der Wikinger von den skandinavischen, zum Teil auch slawischen Bauerngesellschaften getragen. Nur an wenigen Stellen entwickelten sich stadtähnliche Siedlungen für den Austausch im Fernhandel wie Haithabu, Birka (am Mälarsee) oder Rerik (nachgewiesen in Groß Strömkendorf). Neue Dimensionen in Quantität und Qualität breiter wirtschaftlicher wie kultureller Interaktion erschloss die Hanse im Zuge der Christianisierung Nord- und Osteuropas und danach. Damit ging eine erste, noch weitmaschige Urbanisierung des Ostseeraums einher, die ein Netzwerk für seine Integration in das christliche Europa schuf und den Ländern des Baltikums einen umfassenden ersten Modernisierungsschub vermittelte. Die dadurch erstarkenden Monarchien steigerten ihre Macht in berühmten Unionen: der polnisch-litauischen von 1386 und der Kalmarer Union von 1397 und konnten sich erfolgreich gegen die Vorherrschaft der Hanse zur Wehr setzen. Denn die Hanse organisierte den Austausch in einem gebundenen, durch Privilegien gesicherten System ungleicher Chancen, das im Zusammenspiel der hansischen Konkurrenten - Niederländer und Engländer - mit den baltischen Staaten durch freien Handel abgelöst wurde. Dieser prägte die große Konjunktur des 16. und 17. Jahrhunderts. Wandel brachte im 17. Jahrhundert der Aufbau der schwedischen Ostseeherrschaft.

 

Die Kalmarer Union war mit Gustav Vasa 1523 zerbrochen und hatte Schwedens Aufstieg zur Großmacht eingeleitet. Außenpolitische Schwäche kennzeichnete das russische wie das polnische Reich ebenso wie das Heilige Römische Reich deutscher Nation. Hier gewann Schweden Terrain, und wenn die Ostsee nicht zu einem schwedischen Mare clausum wurde, ist das der konkurrierenden Großmacht Dänemark zuzuschreiben. Schweden beließ es nicht bei der Etablierung maritimer wie militärischer Vorherrschaft, sondern setzte eine verdichtende Urbanisierung in Gang, welche die Ziele wirtschaftlicher Modernisierung und militärischer Sicherheit verband. Die schwedische Krone ließ in Schweden und Finnland von 1580 bis 1688 nicht weniger als 31 neue Städte gründen wie etwa Helsingfors/Helsinki oder Karlskrona - gegenüber 61 bestehenden. Daneben wurden ältere Städte wie Landskrona, Reval, Stettin, Stralsund und Wismar befestigt. Neue Funktionen der betroffenen Städte brachte nicht nur bauliche Veränderungen mit sich, sondern auch tief greifenden wirtschaftlichen und sozialen Wandel: die Wirtschaft hatte sich in die Großmachtinteressen einzufügen, und das einziehende Militär- und Verwaltungspersonal beanspruchte die Rolle einer tonangebende Gruppe. Dabei blieb die Einheit des Ostseeraums im wesentlichen erhalten, auch als nach dem Großen Nordischen Krieg Schweden viele seiner Besitzungen und damit die Rolle als Großmacht einbüßte. Das zur Ostseemacht aufgestiegene Russland ging mit seinen Neuerwerbungen vorsichtig um. Zwar änderte sich hier die Obrigkeit, aber die überkommenen inneren Strukturen wie die äußeren Beziehungen blieben unberührt. Das galt auch noch für Finnland, als es 1809 von Schweden an das Zarenreich kam. Erst die späteren Nationalbewegungen verengten die Horizonte, indem sie im Interesse eigener Identität nicht nur die Abgrenzung von anderen Völkern vollzogen, sondern auch Grenzen, selbst auf dem Wasser errichteten. Das Bedürfnis möglichst wenig durchlässiger Grenzen zerstörte die Einheit des baltischen Aktionsraums mit seiner Freiheit von Handel, Wandel, Kultur und Politik. Chancen für die Zukunft ergaben sich daraus eigentlich nicht, eher im Gegenteil. Erst das 21. Jahrhundert kann hier Wandel schaffen.

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