Családi kép, lila alkonyatban
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Familienbild in
lila Dämmerung Wenn ich mit dem Bus komme, muß ich mich nach dem Aussteigen erst einmal gründlich umsehen. Als ob sich die Seite mit den geraden Nummern in der mit den ungeraden spiegelte, so gleichen sich die Häuser der engen Straße. Die Nummer weiß ich nicht, meinen Sinnen aber werde ich - auch wenn sie verwirrt sein mögen - vertrauen können, denke ich. Also losgehen. Hinaufblicken und nach dem Fenster im dritten Stock suchen. Nach zwei sich gegenüberliegenden Fenstern, denn anders finde ich es nicht heraus. Doch jedesmal muß ich hinübergehen auf die andere Seite - als würden die Straße ihre beiden Seiten jedesmal vertauschen, als wollte sie mich jedesmal absichtlich täuschen, um mich zu mahnen, meinen Sinnen doch nicht zu vertrauen -, ich muß also auf die gegenüberliegende Seite, auf die, wo im Fenster des dritten Stocks Topfblumen zu sehen sind. Im Treppenhaus wuchten zwei ältere Männer mit roten Gesichtern aund angehaltenem Atem ein Kanapee hinauf, ein junges Mädchen begleitet sie. Ich muß mich in die Ecke drücken, um sie vorbeizulassen. Ich spüre den Geruch der beiden Männer; das Mädchen ist ohne Geruch. Dann klingle ich. Meine Tante mütterlicherseits - zum Zeitpunkt meines Besuchs gerade siebzig Jahre alt - sitzt, als wäre sie unwirklich, in einem mächtigen, mit bordeauxrotem Samt bezogenen Lehnsessel, direkt vor dem Fenster, dem Fenster aber den Rücken zugekehrt. Der Lehnsessel hat seit langem, jedenfalls so lange ich mich erinnern kann, dort seinen festen Platz. Auch alles andere hat seinen festen Platz. Meine Tante weist mir, wie jedem ihrer Besucher, einen unbequemen Stuhl an. Ihre Krücken sind schräg gegen das Klavier gelehnt, und wenn sie oder der auf ihre kaum wahrnehmbare Bewegung reagierende höfliche Besucher den Arm ausstreckt, sind die Krücken leicht zu erreichen. Ich habe meine Tante noch nie aufstehen gesehen. Die Tür wird von Adél, der Nachbarin, geöffnet - auch sie ist irgendeine Verwandte -, und während wir den langen dunklen Flur entlanggehen, ohne auch nur ein einziges Wort zu wechseln, sind wir uns in vielem einig. In dem weichen Samt des roten Lehnsessels, unmittelbar unter der Hand meiner Tante - sie braucht mit dem Finger nur die Armlehne zu fassen -, ist ein Klingelknopf verborgen. Eine Art Alarmglocke. Zu verschiedenen Zwecken. Unten beim Hausmeister gibt sie Alarm. Wenn meine tante jedoch allein ist, dann sitzt, der größeren Sicherheit wegen, auch Adél neben dem Ofen, sie häkelt. Die fertigen Spitzenkörbchen härtet sie in Zuckerwasser und pfercht sie voll mit Spitzenblumen und Spitzenvöglen, nicht ohne Geschmack. Sie sind zu Verkauf bestimmt, doch zwei besonders gelungene Stücke sind im Zimmer aufgestellt, eines in der Vitrine, das andere - als sollte es an die glanzvolle Jugend der Tante erinnern, ein mumifizierter Blumenkorb, der nach einem Galakonzert überreicht worden ist - auf dem Klavier. Adél sitzt auf einem Fußschemel, verbirgt den stechenden Blick hinter ihren Falten und lächelt, auch wenn sie mit sich allein ist, mit zusammengekniffenen Augen manisch vor sich hin, doch die Tante braucht nur zu nicken, dann fängt sie an zu reden, hastig und ohne Unterbrechung. Mit einem ebensolchen Nicken ist sie auch wieder zum Schweigen zu bringen. Ist ihr aber nicht gestattet zu sprechen, stört sie mit ihrem Dasitzen nicht, sie lehnt sich an den Ofen, kuschelt sich ein, und wenn sie aufblickt, trifft ihr Lächeln bloß den Rücken des Besuchers, der meiner Tante gegenübersitzt. Oder den Blick meiner Tante. ... Ex: Péter Nádas, Minotauros. Berlin 1997. S. 287-289. |
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