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Quelle: http://www.kum.hu/Magyarorszagrol/Magyar/Kultura/kulturaezer.htm



Budapest

Auf dem Calvin-Platz fuhr ein Autobus gegen einen Baum. Schlagartig blieben in der ganzen Stadt die Straßenbahnen stehen. Alles blieb stehen, sogar die kleine Eisenbahn im Schaufenster des Spielwarengeschäfts. Stille trat ein. Später raschelte etwas, aber der Wind hatte lediglich ein Stückchen Zeitungspapier mitgenommen. Er wehte es gegen einen Baum, und nun wurde die Stille noch größer.
Acht Minuten nach der Detonation der Atombombe ging das Licht aus, unmittelbar danach lief im Rundfunk die letzte Schallplatte ab. Eine Stunde später tröpfelte es nur noch aus den Wasserhähnen, dann kam kein Wasser mehr. Das Laub wurde trocken wie Blech. Das Signal zeigte freie Fahrt, doch der letzte Wiener Schnellzug fuhr nicht mehr in den Bahnhof ein. Der Wasserkessel der Lokomotive war bereits am Morgen ausgekühlt.
Innerhalb eines Monats verwilderten die Parks, in den Sandkästen der Kinderspielplätze wuchs Hafer, in den Regalen der Gaststätten trockneten Aperitifs ein. Alle Lebensmittel, die gesamten Lederwaren und die Bücher in den Bibliotheken wurden von den Mäusen aufgefressen. Die Maus ist ein Tier, das sich schnell vermehrt; sie wirft fünfmal in einem Jahr. Nach gar nicht langer Zeit überzogen die Mäuse die Straßen wie ein samtener, wogender Straßenbelag.
Sie nahmen die Wohnungen in Besitz, in den Wohnungen die Betten, in den Theatern die Sessel. Sie kamen auch in die Oper, wo zuletzt "La Traviata" gespielt worden war. Der Klang der letzten Saite der letzten Geige, die sie durchgenagt hatten, war Budapests Abschiedswort.
Doch bereits am folgenden Tag war an den Steinen eines Trümmerhauses genau gegenüber der Oper ein Zettel zu lesen: "Übernehme Mäusevertilgung, falls Speck vorhanden. Frau Doktor Varsányi."
Ex: György Sebestyén, Alois Brandstetter, Der Ort an dem wir uns befinden. Wien 1985. S. 80f.

István Örkény