Gyula Illyés
|
|
in der Ruhe,
der Handschellen-Langeweile,
im Gewitterschauer,
im himmelhoch ragenden Gitter;
im Schneefall, der die Landschaft
zu einer weißen Zellenwand macht;
aus den Augen deines Hundes
blickt sie dich an,
und da sie gegenwärtig ist
in jedem Ziel, ist sie auch
morgen noch da, in denen Gedanken,
in allem, was du tust;
wie der Fluß sein Bett,
so folgst du ihr und erschaffst sie dir;
trittst du spähend aus diesem Kreis heraus,
sieht sie dir aus dem Spiegel entgegen,
sie lauert dir auf, es gibt kein Entrinnen,
ein Gefangener bist du und Schließer zugleich
das Aroma des Tabaks,
der Stoff deiner Kleidung
|
du würdest sehen, aber sehen kannst du nur,
was sie dir herzaubert,
und schon bist du umzingelt
vom Waldbrand, entfacht von einem Streichholz,
du hast es weggeworfen,
ausgetreten aber nicht;
und so bist du in ihren Klauen,
in der Fabrik, auf dem Feld, zu Hause;
und du weißt nicht mehr, was Leben ist,
Fleisch und Brot,
was Liebe heißt, Verlangen,
ausgebreitete Arme,
die Handschellen produziert
und trägt der Knecht selbst;
wenn du ißt, nimmt sie zu,
deine Kinder zeugst du für sie,
wo es Tyrannei gibt,
ist jeder ein Glied in der Kette;
stinkend entsteigt sie dir,
die Tyrannei bist du auch selbst;
wie ein Maulwurf im Sonnenschein,
so gehen wir durch stockfinstre Nacht,
unruhig hocken wir in der stillen Kammer,
umgeben von der Wüste Sahara;
denn wo es Tyrannei gibt,
daort ist alles vergebens,
selbst der Gesank verrät dich,
nicht anders des Werkes Federstrich,
denn beizeiten steht sie
an deinem Grab,
sie sagt dir, was du gewesen bist,
sogar dein Staub wird ihr dienen.
Ex: Hans-Henning Paetzke, Ungarisches Lesebuch. Frankfurt a.M. 1985. S.
167-173.
|
Wo es Tyrannei gibt,
dort herrscht Tyrannei,
nicht nur in den Gewehrläufen,
nicht nur in den Gefängnissen,
nicht nur in den Vernehmzimmern,
nicht nur in den Nächten,
in den Worten brüllender Bullen, Tyrannei herrscht dort
nicht nur im blauen Dunst
flammender Anklagereden,
im Geständnis,
in den Klopfzeichen der Häftlinge,
nicht nur im kaltschnäutzigen
Schuldspruch des Richters,
Tyrannei herrscht dort
nicht nur im schneidig
polternden "Achtung!",
"Feuer!", im Trommelwirbel
und wenn sie die Leiche
in die Grube schleifen,
nicht nur in den Nachrichten,
die im Füsterton
heimlich und zitternd
durch den Türspalt dringen,
im Zeigefinger, der auf Lippen
erstarrt "Pst!" signalisiert,
Tyrannei herrscht dort
nicht nur in den gittergleich
unbeweglichen Mienen
und im nunmehr wortlos
zappelnden Aufschrei hinter Gittern,
in der Flut
stummer Bücher,
die das Schweigen anwachsen lassen,
in den starren Pupillen,
|
Tyrannei herrscht dort
nicht nur in den stürmisch donnernden Hochrufen,
im Hurrageschrei, in den Gesängen,
wo es Tyrannei gibt,
dort herrscht Tyrannei
nicht nur in den unermüdlich
applaudierenden Händen,
in den Hörern, in der Oper,
in den ebenso schrill verlogen
tönenden Steinen der Denkmäler,
in den Farben, in den Gemäldegalerien,
in jedem einzelnen Bilderrahmen,
in den Borsten des Pinsels schon;
nicht nur im allnächtlich
kreischenden Bremesen des Autos
und darin,
daß es vor der Haustür hält;
wo es Tyrannei gibt, dort herrscht sie
allgegenwärtig,
allüberall,
dein Gott hat dich längst verlassen;
Tyrannei herrscht dort
in den Kindergärten,
im väterlichen Rat,
im Lächeln der Mutter,
in der Antwort des Kindes,
die es einem Fremden gibt;
nicht nur im Stacheldraht,
nicht nur in den Zeilen der Bücher,
in den Phrasen, die dich schlimmer
verblöden als Stacheldraht;
|
dort herrscht sie,
im Abschiedskuß,
wenn dich deine Frau fragt:
"Wann kommst du nach hause?";
im gewohnten "Wie gehts, wie stehts?"
auf der Straße,
im plötzlich schlaffen
Händedruck,
wenn das Gesicht deiner Liebsten
plötzlich frostig wird,
denn beim Rendezvous,
da schiebt sich zwischen euch,
nicht nur in der Vernehmnug,
im Geständnis ist sie,
im Rausch der Worte,
wie eine Fliege im Wein,
denn nicht einmal in deinen Träumen
bist du allein,
im Hochzeitsbett ist sie da,
vorher schon im Verlangen,
|
denn schön wähnst du nur,
was ihr schon gehört hat;
wenn du meinst, die Liebe zu erleben,
hast du zuvor schon mit ihr geschlafen,
auf dem Teller und im Glas ist sie,
in der Nase, im Mund,
in der Kälte der Dämmerung,
im Freien und im Zimmer,
als käme Aasgestank
durch das offene Fenster,
als wäre die Gasleitung
im Haus irgendwo undicht,
wenn du Selbstgespräche führst,
stellt er, der Tyrann, die Fragen,
unabhängig bist du nicht einmal in deinen Phantastien,
selbst sie Milchstraße da oben
ist schon anders: Grenzstreifen ist sie,
wo Scheinwerfer dich suchen, Minenfeld;
der Stern - ein Spion,
|
das Gewimmel am Firmament
ein einziges Arbeitslager;
denn die Stimme der Tyrannai
dringt aus den Häusern, den Glocken,
der Predigt deines Beichtvaters,
Kirche ist sie, Parlament,
Folterkeller, Folterbank,
lauter Keller machen dich krank;
hinter deinem Blinzeln
spürst du ihren Blick;
ebenso wie ein dahinsiechen,
die Erinnerung, sie begleitet dich;
des Rattern des Zuges raunt dir zu,
ein Sträfling bist du, ein Sträfling,
im Gebirge und am Meer
atmest du dieselbe Luft;
beim Zucken des Blitzes,
in jedem unerwarteten
Geräusch, im Licht,
in der Herzbeklemmung;
saugt sie auf, sie frißt sich hindurch
bis aufs Mark;
du würdest zur Besinnung kommen,
doch Gedanken kannst du ihre nur denken,
|