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Quelle: http://www.poetenfest-erlangen.de/2001/portraits/esterhazy.htm
Harmonia Caelestis
182. Wenn wir meinen Vater von Maria Theresia aus betrachten (und woher
denn sonst im 18. Jahrhundert), dann muß als erstes mein Onkel väterlicherseits
erwähnt werden, er war derjenige, den die Kaiserin mit den Edelsteinen
ihrer besonderen Aufmerksamkeit überhäufte und der später
nicht wenige Konflikte mit dem Kaiser, dem Sohn der Kaiserin, auszustehen
hatte. Seine am 8. Mai eingereichte Denkschrift gegen das Germanisierungssystem
des Kaisers blieb nicht nur erfloglos, es zog überdies einen Tadel
der obersten Stelle nach sich. Doch der Onkel gehörte nicht zu denen,
die allzuleicht das Haupt neigen, egal, wie hoch die streitbare Laune
angesiedelt war, besonders wenn es gegen Ungarn ging. Der französische
Gesandte, vermutlich Durfort, schrieb: Eine aufgeklärte Vernunft,
ein gerechter Geist, genießt an seinem dornenbewehrten Posten das
Vertrauen seiner Nation, huldigt nicht genügend dem Willen der Herrscherin;
dadurch setzt er seine Stellung aufs Spiel, oder zumindest festigt er
nicht besonders seinen Einfluß. Nichtsdestotrotz ließ ihn
die Königin bei der Gründung des St.-Stephan-Ehrenkeuzes, dessen
Idee von ihm stammte und dessen Kanzler er, so will es die Familienüberlieferung,
dann auch wurde, zu sich rufen. Der Onkel neigte sein Haupt in Selbstvertrauen.
Er kannte seine Königin. Was murmelt Er da? fuhr die hohe Dame auf.
Kann ich von meinen Untertanen etwa nicht erwarten, daß sie mich
in grammatisch fehlerlosen Sätzen ansprechen? Antworten sie nicht.
Ihr Schweigen nehme ich als impeccablen Satz, und damit heftete sie sein
eigenes Kreuz persönlich an die Brust ihres, hier folgte der Name
meines Vaters, beziehungsweise meines Onkels. Mit der Anordnung, daß
jedesmal, wenn ein ein Nachfahre sich dieser Distinktion als würdig
erwiese, er dieses Kreuz tragen solle. (Das nachträgliche Statement
in der Nr. 52 der Vasárnapi Újság (Sonntagszeitung),
wonach dieser Orden vom Obertürstehermeister Károly getragen
wurde, gilt nicht, da dieser, definitive Kenntnis, das kleine Kreuz des
St.-Stephan-Ordens führte.) Maria Theresia hatte ein klein bißchen
genug von der Familie. Mein Vater: der als Folge eines Gehirnschlags ohne
Nachkommen in seiner Kutsche verstarb, in der Wiener Himmelpfortgasse,
noch bevor er seiner Schwester, der Gräfin Fekete, Lebwohl sagen
konnte, verstrickte sich in das 18. Jahrhundert. Die Sache fing - natürlich
- so an, daß das 18. Jahrhundert sich in das Land verstrickte, als
allererstes in die Sitten. Ungarn, das seine Sprache bis dahin unter dem
Einfluß des Lateinischen gemach entwickelt und in der lateinischen
und der damit nahezu verschmolzenen biblischen Moral das einzige Vorbild
gesehen hatte, und dessen damit verbundene Lebensauffassung gleichsam
zu einer nationalen Eigenheit geworden war, kam nun das erste Mal auf
breiter Linie und nicht nur sprodice mit moderner Sprache, Bildung und
Moral in Berührung. Und da diese Berührung, dieser Tango mit
der Schwächung, dem Niedergang des mit der Nation selbst gleichgesetzten
Bildungsniveaus und der glaubenssitlichen Überzeugung einhergingen,
wundert es nicht, daß man dies als Unglück für die Nation
betrachtete, das ihre innerste Kraft untergräbt, um sie hernach jenen
schutzlos ausztuliefern, die auf ihr Verderben trachten. Mein Vater teilte
diese Auffassung nicht, er wand sich voller Unbehagen an diesem Scheideweg
von Alt und Neu, er sah sich nicht gerne eins mit den verweichlichten,
verschwenderischen, unmoralischen Höflingen, denen die zeitgenössische
Pasquille und Hohnverse (der reichste und originellste Part der damaligen
Literatur) nicht müde wurden, den alten, starken, sparsamen, heldenhaften
und rechtschaffenden Ungarn entgegenzuhalten. Zweifellos ist, und heute
können wir dies ruhig zugeben, daß die Gleichstellung von Elementen
moderner Bildung und ungarischem Nationalgeist trotz manch eifriger bestrebung
immer noch nicht abgeschlossen ist, und so konnte die neue Richtung, trotz
einiger Effecte, welche sie exhibieren kann, noch keine einheitliche nationale
Kultur etablieren.
...
Ex: Péter Esterházy, Harmonia Caelestis. Berlin 2001. S.
219-221.
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