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Quelle: MK 6, 151

Ich weiss nicht

Ich weiß nicht, was er andern ist, dieser Himmelsstrich,
dies kleine Land, das Flammen umarmen, ist für mich
Geburtshaus, Reich der Kindheit, in dem Weltweiten schwangen.
Aus seinem starken Stamm bin ich Schloß hervorgegangen
und hoffe, mein Leib geht einst in diese Erde ein.
Hier bin ich heimisch. Kniet mir ein Busch, ein Strauch ans Bein,
so weiß ich seinen Namen, und wie er blüht, ich bin im Bild, weiß, wer die Straße dahergeht
und wohin,
und rinnt ein Sommerabend und ein Geheimnis drin
schmerzrot die Haauswand nieder, so weiß ich seinen Sinn.
Dem Überflieger liegt's als Landkarte vor der Sicht,
und daß ein Vörösmarty hier wohnte, weiß er nicht;
ihm birgt die Karte, unhold, Kaserne und Fabrik,
mir Heupferd, Rind, Hof, Kirchtum, ein mildes Mosaik,
der droben sieht im Fernglas Werkhallen, zum Beschuß,
doch auch den Arbeiter, der Arbeit haben muß,
Wald, zwitschernden Obstgarten, Weinberg und Gräber drum,
das Mütterchen, das zwischen den Gräbern hinweint, stumm,
was droben Eisenbahn ist, Fabrik, Vernichtungsziel,
ist Wärtehaus, der Bahnwart hat in der Hand den Stiel
der roten Bahnwartfahne, und einen Kinderchor
um sich, und im Fabrikhof rollt der Komondor;
der erste Liebe Spur blieb im Park dort, lang ist's her,
und mein Mund voll Kußgeschmack, wie von Honig, Heidelbeer,
und auf dem Schulwegtrottoir trat ich, um dann doch ja
nicht dranzukommen, heute, auf einen Randstein, - da,
da ist der Stein: von droben erkennt man auch nicht ihn,
kein Sehgerät, um alles das in den Blick zu ziehn.
Ja, wie die anderen Völker sind auch wir schuldhaft blind
und wissen, inwiefern wir wann wo wie fehlbar sind,
doch leben hier Arbeiter und Dichter, arglos schlicht,
und Säuglinge, in denen sich die Vernunft zum Licht
auswächst, es schützt sie, drunten geduckt im dunklen Keller,
bis wieder Frieden sich uns aufs Haus schreibt, und sie, heller,
dem Wort, dem dumpf erstickten in uns, Antwort erwecken.

Laß deine Wolkenflügel, wachsame Nacht, uns decken.

17. Januar 1944
Ex: Miklós Radnóti, Gewaltmarsch. Budapest 1979. S. 90f.

 

Miklós Radnóti um 1940