Rede des Ersten Sekretärs der Partei der Ungarischen Werktätigen, Ernö Gerö, am 23. Oktober 1956, 20 Uhr, in Radio Kossuth, die er mit "Liebe Genossen, geliebte Freunde, arbeitende Bevölkerung von Ungarn!" beginnt und in der er zunächst auf die Maßnahmen hinweist, die die Partei seit Juli 1956 ergriffen hat, um die auf Grund des stalinistischen Personenkults um Rákosi begangenen Fehler zu beheben. Er fährt dann fort:
"Ganz gewiß wollen wir eine sozialistische und nicht eine bourgeoise Demokratie haben. In Übereinstimmung mit unserer Partei und unseren Überzeugungen wachen unsere Arbeiterklasse und unser Volk eifersüchtig über die Errungenschaften unserer Volksdemokratie und werden keinem erlauben, daran zu rühren. Wir werden diese Errungenschaften unter allen Umständen verteidigen, von welcher Seite sie auch bedroht werden mögen. Heute ist das Hauptziel der Feinde unseres Volkes, die Macht der Arbeiterklasse zu erschüttern, das Bündnis zwischen Bauern und Arbeitern zu lockern, die Führerschaft der Arbeiterklasse unseres Landes zu unterminieren und ihre Treue zur Partei, zur Ungarischen Arbeiterpartei, ins Wanken zu bringen. Sie bemühen sich, die engen freundschaftlichen Beziehungen zwischen unserer Nation, der Ungarischen Volksrepublik, und anderen Ländern, die den Sozialismus aufbauen, zu lösen, besonders die Beziehungen zwischen unserem Lande und der sozialistischen Sowjetunion. Zu lockern versuchen sie die Bande zwischen unserer Partei und der ruhmreichen Kommunistischen Partei der Sowjetunion, der Partei Lenins, der Partei des XX. Kongresses.
Sie verleumden die Sowjetunion. Sie behaupten, daß wir mit der Sowjetunion auf ungleichem Fuße Handel treiben, daß unsere Beziehungen zur Sowjetunion nicht auf Gleichheit gegründet sind, und sie geben vor, daß unsere Unabhängigkeit nicht gegen die Imperialisten, sondern gegen die Sowjetunion verteidigt werden müsse. Alles dies sind freche Lügen - es sind feindselige Verleumdungen, die nicht ein Körnchen Wahrheit enthalten. Die Wahrheit ist, daß die Sowjetunion unser Volk nicht nur vom Joch des Horthy-Faschismus und des deutschen Imperialismus befreit hat, sondern sie hat uns auch nach Kriegsende, als unser Land kraftlos darniederlag, beigestanden, Pakte auf der Basis voller Gleichberechtigung mit uns geschlossen und seitdem immer diese Politik verfolgt.
Es gibt Leute, die einen Konflikt zwischen dem proletarischen Internationalismus und dem ungarischen Patriotismus hervorrufen möchten. Wir Kommunisten sind ungarische Patrioten. Wir waren Patrioten in den Gefängnissen des Horthy-Faschismus und in den schwierigen Jahren der Untergrundarbeit und Illegalität... Wir erklären, daß wir alles tun, was in unserer Macht liegt, den Sozialismus in unserem Lande auf marxistischleninistischer Grundlage aufzubauen, wie es in anderen sozialistischen Ländern geschieht, daß wir aber zu gleicher Zeit die Schwierigkeiten unseres Landes, seine wirtschaftliche und soziale Lage und die ungarische Tradition in Rechnung ziehen. Wenn wir uns als Patrioten bezeichnen, so müssen wir doch energisch feststellen, daß wir keine Nationalisten sind. Wir kämpfen beständig gegen Chauvinismus, Antisemitismus und alle die anderen reaktionären, antisozialen und unmenschlichen Richtungen und Anschauungen. Daher verdammen wir diejenigen, die das Gift des Chauvinismus unter unserer Jugend zu verbreiten suchen und zu nationalistischen Demonstrationen die demokratische Freiheit mißbrauchen, die unser Staat der arbeitenden Klasse gesichert hat.
Doch wie auch immer - selbst diese Demonstrationen werden die Partei nicht davon abbringen, in der Entwicklung der sozialistischen Demokratie fortzufahren. Wir sind Patrioten, aber gleichzeitig auch proletarische Internationalisten.Unsere Beziehungen zur Sowjetunion und allen anderen sozialistischen Ländern gründen sich auf die Tatsache, daß unsere Parteien - leitende Parteien in den jeweiligen Ländern - beseelt sind von den Lehren des Marxismus-Leninismus. Sie gründen sich darauf, daß wir unser Volk lieben und alle anderen Völker achten, dem Prinzip völliger Gleichberechtigung und Nichteinmischung folgen und gleichzeitig einander in Freundschaft helfen. Wir helfen einander, um den Fortschritt des Sozialismus in unseren Ländern zu fördern und den Sieg der erhabenen Idee des Sozialismus in der ganzen Welt herbeizuführen ...
Die Einigkeit der Partei wird immer notwendig und wichtig sein. Ohne Einigkeit wäre unsere Partei unfähig gewesen, dem mörderischen Terror des Horthy-Faschismus vor Ablauf eines Vierteljahrhunderts zu trotzen. Ohne Einigkeit unserer Partei und der arbeitenden Klasse hätte die Volksdemokratie in unserem Lande nicht triumphiert, und die mit der Bauernschaft verbundene Arbeiterklasse hätte nicht die Macht an sich reißen können. Diese Einigkeit, die Einigkeit von Partei, Arbeiterklasse und arbeitender Bevölkerung, muß wie unser Augapfel gehütet werden. Laßt unsere Parteiorganisationen mit Disziplin und in völliger Einigkeit jeden Versuch zur Anstiftung von Unordnung, nationalistischer Brunnenvergiftung und Provokation bekämpfen. Arbeitergenossen, Arbeiter! Offen herausgesagt: die Frage ist nun, ob wir eine sozialistische oder eine bourgeoise Demokratie haben wollen. Die Frage ist: wollen wir den Sozialismus in unserem Lande aufbauen, oder wollen wir ein Loch in das sozialistische Bauwerk machen und dann dem Kapitalismus die Tür öffnen? Die Frage ist: erlaubt Ihr, daß die Macht der arbeitenden Klasse und der verbündeten Arbeiter und Bauern unterminiert wird, oder wollt Ihr euch entschlossen erheben und diszipliniert und in völliger Einigkeit mit unserer ganzen arbeitenden Bevölkerung die Macht der Arbeiter und die Errungenschaften des Sozialismus verteidigen?"
 

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Quelle: Radio Kossuth; deutsche Übersetzung: Die ungarische Revolution. Die Geschichte des Oktober-Aufstandes nach Dokumenten, Meldungen, Augenzeugenberichten und dem Echo der Weltöffentlichkeit. Ein Weißbuch. Hrsg. v. Melvin J. Lasky, Berlin 1958, S. 55-56.



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