Johann Christoph Gottsched:
Versuch einer Critischen Dichtkunst
Stichwort: Lustspiel
(Auszüge)

Von Komödien oder Lustspielen

Die Komödie ist nichts anders, als eine Nachahmung einer lasterhaften Handlung, die durch ihr lächerliches Wesen den Zuschauer belustigen, aber auch zugleich erbauen kann. [...] Es ist also wohl zu merken, daß weder das Lasterhafte, noch das Lächerliche für sich allein, in die Komödie gehöret; sondern beydes zusammen, wenn es in einer Handlung verbunden angetroffen wird. Vieles läuft wider die Tugend; ist aber mehr strafbar und widerlich, oder gar abscheulich, als lächerlich [...].

Stoff
Zu einer komischen Handlung nun kann man eben so wenig, als zu tragischen, einen ganzen Charakter eines Menschen nehmen, der sich in unzähligen Thaten äußert [...]. Es muß eine einzige, recht wichtige That genommen werden, dazu viele Anstalten gehören, ehe sie ausgeführet werden kann; die aber, vieler Schwierigkeiten ungeachtet, gelinget, und also eine Handlung ausmacht. [...] Die Komödie will nicht grobe Laster, sondern lächerliche Fehler der Menschen verbessern.

Die ganze Fabel der Komödie muß, ihrem Inhalte nach, die Einheit der Zeit und des Ortes, eben so wohl, als die Tragödie beobachten.

Von den Characteren der Komödie ist weiter nichts besonders zu erinnern; als bey der Tragödie schon vorgekommen ist. Man muß nämlich die Natur und Art der Menschen zu beobachten wissen, jedem Alter, jedem Stande, jedem Geschlechte, und jedem Volke solche Neigungen und Gemüthsarten geben, als wir von ihnen gewohnt sind. Kömmt ja einmal was außerordentliches vor; z.E. daß etwa ein Alter nicht geizig, eine Junger nicht verschwenderisch, ein Weib nicht weichherzig, ein Mann nicht beherzt ist: so muß der Zuschauer vorbereitet werden, solche ungewöhnliche Charactere für wahrscheinlich zu halten; welches durch Erzählung der Umstände geschieht, die dazu etwas beygetragen haben. Man muß aber auch die lächerlichen Charactere nicht zu hoch treiben. So bald der Zuschauer glauben kann, so gar thöricht würde wohl kein Mensch in der Welt seyn: so bald verliert der Character seinen Werth.

Die Personen, die zur Komödie gehören, sind ordentliche Bürger, oder doch Leute von mäßigem Stande, dergleichen auch wohl zur Noth Baronen, Marquis und Grafen sind: nicht, als wenn die Großen dieser Welt keine Thorheiten zu begehen pflegten, die lächerlich wären; nein, sondern weil es wider die Ehrerbietung läuft, die man ihnen schuldig.

Form
Die Eintheilung derselben muß eben sowohl, wie oben in Trauerspielen, in fünf Aufzüge geschehen; ungeachtet die Italiener nur dreye zu machen pflegen. Denn auf diese Art werden sie gemeiniglich zu lang, und bekommen so viel Auftritte hinter einander, daß man sich verwirret.

Es muß also eine Komödie eine ganz natürliche Schreibart haben, und wenn sie gleich in Versen gesetzt wird, doch die gemeinsten Redensarten beybehalten.

Von den Affecten ist hier ebenfalls nichts neues zu sagen; als daß man die tragischen, nämlich die Furcht, das Schrecken und Mitleiden zu vermeiden habe. [...] Allein, wenn man dergleichen Stücke, wie ich oben gedacht, bürgerliche Trauerspiele nennet; oder Tragikomödien taufet: so könnten sie schon bisweilen statt finden.

 

Zitiert nach: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer critischen Dichtkunst. Vierte, sehr vermehrte Auflage. Leipzig: Breitkopf 1751. S. 631-656.
S. 643; 645; 647; 649; 647; 652; 650.