Johann Christoph Gottsched: Sterbender Cato (1732)
Mit diesem fünfaktigen Trauerspiel
in Alexandrinern schafft G. ein Muster, das seine Tragödientheorie in der Critischen Dichtkunst
illustrieren soll. Es ist entsprechend deutlich an den eigenen Regeln
ausgerichtet: G. konstruiert das Stück aus Teilen, die er den Cato-Dramen
des Engländers Joseph Addison (Cato, 1713) und des Franzosen
François Deschamps (Caton d'Utique, 1713) entnimmt. Nur etwa
170 der 1648 Verse stammen von Gottsched und sind keine Übersetzung.
Kritische Zeitgenossen werfen dem Stück vor, >mit Kleister und Schere<
erzeugt worden zu sein und deshalb als >deutsches Originalschauspiel<
nicht zu taugen. Das Trauerspiel wird aber immerhin im Bewußtsein
der literarischen Welt so fest mit Gottscheds Namen verbunden, daß
sein alter Widersacher Bodmer darauf sogar eine Satire gegen ihn aufbaut:
Gottsched, ein Trauerspiel, oder: Der parodierte Cato (1765).
Der historische Stoff ist durch mehrere römische Geschichtsschreiber überliefert: Cato leistet als Statthalter von Utica Widerstand gegen Cäsars imperiale Eroberungspolitik. Er versucht, in seinem Territorium die Republik und mit ihr seine politische Handlungsfreiheit aufrecht zu erhalten. Cato findet jedoch keinen wirklichen Ausweg, am Schluß resigniert er und begeht in stoischem Gleichmut Selbstmord. Spannend wird die Handlung durch den Nebenstrang, in dem die schutzsuchende vermeintliche Prinzessin der verbündeten Parther Arsene (wie sich herausstellt wirklich Catos Tochter Portia) von Cäsar umworben, schließlich seine Liebe erwidert.
Johann Christoph Gottsched
Sterbender Cato
(Auszüge)
Dritter Akt, dritter Auftritt
Cato und Cäsar.
Cäsar
Nun, Cato, endlich hat der Wunsch mir eingetroffen,
Daß ich einmal mit Euch vertraulich sprechen kann.
Ich biete Welschland itzt in Euch den Frieden an.
Kommt, schließt ihn selbst mit mir und macht der Not ein Ende!
Das hartbedrängte Rom sieht bloß auf unsre Hände;
Versammlet Euren Rat, und schafft noch diesen Tag,
Daß jedermann die Frucht der Eintracht ernten mag,
Die ganze Bürgerschaft verbanne Haß und Rache,
Indem ich Euch, nebst mir, zum Bürgermeister mache.
Cato
Wie frech und unverschämt trägst du mir solches an,
Da mir nur Volk und Rat die Würde geben kann?
Denkst du die Tugend denn mit Lastern zu ermüden?
Wir suchen bloß nach Recht und Billigkeit den Frieden!
Regiert ein einzig Haupt das große Rom allein,
so wollen wir mit Lust daraus verbannet sein.
Ja, Cäsar, weg von hier mit Königen und Ketten!
Der Römer Überrest will noch die Freiheit retten;
Und läßt sich das nicht tun, so sind wir doch nicht dein.
Der Afrikaner Sand soll unsre Freistadt sein;
Hier hab ich selber schon ein Grab für mich erlesen.
Drum, Cäsar, laß uns Rom, wie es vorhin gewesen!
Komm ohne Kriegesvolk, komm ohne Waffen hin,
Komm so, wie ich mich da zu zeigen willens bin:
Alsdann so wird man sehn, wer endlich von uns beiden
Noch den Triumph erlangt und welcher Rom muß meiden.
Cäsar
Was hab ich denn getan? Der Deutschen tapfres Blut
Verehrt durch meinen Dienst der Römer Heldenmut.
Die Meere waren mir kein Hindernis im Siegen,
Ich bin den Ozean der Briten überstiegen;
Und doch versaget mir der ungerechte Rat,
Weil mich Pompejus haßt, ein schlechtes Konsulat?
Man will mein tapfres Schwert im Frieden kraftlos machen,
Man gibt mir Aufruhr schuld, und was mein Schweiß,
mein Wachen,
Mein eignes Blut verdient, das Bürgermeisteramt,
Fällt meinen Feinden zu? Das, das hat mich entflammt!
Halb rasend fing ich an, der Römer Feind zu werden;
Vergebens waffnet sich der ganze Kreis der Erden,
Ich schlug ihn doch und nahm den Rest zu Gnaden an,
Nachdem ich ihn besiegt: Was hab ich nun getan?
Cato
Aus Rachgier, Cäsar, ward das Schwert von dir gezücket,
Da nun Pompejens Fall den Zorn bereits ersticket.
Warum behältst du noch die oberste Gewalt?
Daraus erhellt ja klar, daß man dich billig schalt.
Tyrannen schmücken stets ihr Tun mit List und Ränken,
Die Worte sind oft gut, die Tat lehrt, was sie denken.
Man gab dir mit Bedacht kein römisch Konsulat;
Du warest viel zu groß und möchtig vor den Staat.
Und wozu war dir wohl das Vaterland verbunden?
Du hattest als ein Held viel Länder überwunden;
Rom hatte triumphiert: Doch das war deine Pflicht.
Ein Bürger dient dem Staat, der Staat dem Bürger nicht.
Die Schuld ist offenbar; der Vorwand ist vergebens.
Den Grachus, wie du weißt, beraubte man des Lebens,
Du hast noch mehr verwirkt!
Cäsar
Wo will der Eifer hin?
Vergeßt Ihr denn, daß ich ein Überwinder bin
Und daß die Römer mich um Gnade bitten müssen?
Cato
Wer voller unschuld ist, will nichts von Gnade wissen.
Denk, Cäsar, denk einmal an deine Grausamkeit.
Und wünsche dir vielmehr, daß die Vergessenheit
Den unerhörten Stolz, der dich betört, begrabe.
Auch Sylla, den ich oft darum gepriesen habe,
Entsagte von sich selbst der Herrschaft und Gewalt
Und fand auch in der Tat der Römer Gnade bald.
Dem Beispiel folge nach. So wird dir dein Verbrechen
Vielleicht auch noch geschenkt. Ich selbst will für dich
sprechen!
Wie nun? Du schweigest hier? O Rom! O Vaterland!
Hast du dem Barbar nicht viel Gutes zugewandt?
Und er bestimmt dir stets ein größer Ungelücke.
Die Götter zeigen uns viel zornerfüllte Blicke;
Rom streitet mit sich selbst: Die Mutter haßt den Sohn,
Der Legionen Zahl spricht ihren Brüdern Hohn,
Man sieht der Römer Blut auf Römer Hände spritzen,
Die Helden, welche sonst Gesetz und Rechte schützen,
Ersticken die Natur und schänden ihr Gebot:
Die Väter streben nur nach ihrer Kinder Tod,
Die Kinder suchen nichts als ihrer Väter Leichen,
Die Mütter sind bemüht, dem Jammer zu entweichen,
Und stürzen sich zuvor in beider bloßes Schwert.
Die Herrschaft, Cäsar, ists, was deine Brust begehrt!
Cäsar
Und Ihr verlanget nichts als Unglück und Verderben!
Ihr wollt entfernt von Rom in Gram und Kummer sterben,
Nur stets geschlagen sein und daß ich eifersvoll
Die Hände stets im Blut der Römer baden soll.
Den Frieden schlagt Ihr aus und hasset doch das Kriegen?
An wem wird wohl die Schuld des ganzen Unglücks liegen?
Ist Euch der Römer Blut so wert und hoch geschätzt,
Warum habt Ihr Euch stets den Göttern widersetzt?
Es hat sich ihre Gunst vorlängst für mich erkläret;
Sie haben mir bisher noch stets den Sieg gewähret.
Ich mach Euch in der Tat vom Untergange frei;
Und doch bedünkt es Euch, daß ich sehr strafbar sei.
Ihr wollt dem Siege stets Gesetz und Regeln geben:
Ach, laßt mich doch nur selbst nach Ruhm und Ehre streben!
Als Sylla Sieger war und als auf einen Tag
Die Römer ganze Zahl zu seinen Füßen lag,
Da konnt er ohne Schimpf den Zepter von sich legen:
Allein, ich muß allhier auch meinen Ruhm erwegen.
Das hieße: Cäsars Mut war endlich doch zu klein.
Und kurz: Wo Cäsar herrscht, wird alles glücklich sein.
Denn wahrlich, überall wohin mein Schwert gekommen,
Hat auch der Tränen Zahl ganz merklich abgenommen.
Auch Rom sieht täglich schon ein prächtig Schauspiel an,
Und meine Hand tut mehr, als jemand wünschen kann.
Ich will ja nichts als Rom und Welschland glücklich machen!
Cato
Verführen willst du sie! Das zeigt der Lauf der Sachen.
Die List gibt dir das Recht, so du zur Herrschaft hast;
Die Stimmen kauftest du, da du der Schulden Last,
Die manchen Bürger drückt, verschwendrisch aufgehoben:
Dem Laster zum Behuf verübst du Tugendproben.
Tyrannen müssen oft der tugend Freunde sein:
Die Wut versteckt sich oft in einer Wohltat Schein.
Auch ihre Gütigkeit ist billig zu bestrafen.
Cäsar
Wie? Kann denn Cäsars Zorn bei solchem Frevel schlafen?
Erwegt es, wenn ich zürn, so ist ein Augenblick
Schon lang und groß genung zu Eurem Ungelück.
Cato
Wenn ich nicht hoffen darf, die Freiheit zu erwerben,
So bin ich alt genung und will ganz freudig sterben.
Cäsar
Ach weichet dem Geschick
Cato
Mein Schicksal heißt: Sei frei!
Cäsar
Glaubt, daß man auch beglückt am Tyberstrome sei.
Cato
Die Tyber soll mich nicht an ihrem Ufer sehen,
Bevor durch meinen Arm die Rettung Roms geschehen.
Cäsar
Erhaltet doch vielmehr nur Euer eigen Haupt.
Cato
Es ist ein großer Schimpf, wenn man Tyrannen glaubt
Und gar von ihrer Hand sein Leben will erhalten.
Der größte Ruhm ist der, sich rächen und erkalten.
Cäsar
Ihr tretet mir zu nah!
Cato
Ich diene Rom getreu
Und ehre doch zugleich der Götter Rat dabei.
Cäsar
In meinem Herzen ist ihr Ausspruch sonnenklar:
Und wäre dieses nicht, so würde mich fürwahr
Der Henker in der Brust mit scharfen Martern plagen;
So aber weiß ich nichts von dieser Qual zu sagen.
Wenn ein Tarquin entspringt, sind hundert Bruti da,
Die man doch nie gebückt zu deinen Füßen sah.
Man spricht dereinst von uns wie wir von unsern Vätern:
Sie straften Könige, wir tun es an Verrätern.
Cäsar
Ach, Cato, schont mich nur mit der Verräterei
Und leget sie vielmehr Pompejens Anhang bei.
Ihr denket zweifelsfrei: Pharnaces wird uns stützen!
Allein, es ist umsonst. Er will Euch gar nicht schützen.
Er hat nicht längst an mich zween Boten abgesandt,
Die machten mir von ihm den schnöden Zweck bekannt:
Er woll Euch unvermerkt den Dolch ins Herze drücken
Und nachmals Euren Kopf zu mir ins Lager schicken.
Ich nahm sie beide Fest; sie sind gefesselt hier:
Bestraft sie selbst und sprecht: Was tadelt Ihr an mir?
Cato
Ja, Cäsar, es ist wahr. Ich muß die Großmut loben;
Allein, dein Stolz taugt nichts: Sonst solltest du die Proben
Von meiner Ehrfurcht sehn. Doch stellt Pharnaz mir nach
Und sucht er meinen Kopf, so wie man dir versprach:
So steht der Bösewicht mir zwar nach Leib und Leben;
Doch du bist grausamer!
Cäsar
Wer? Ich?
Cato
Du bist es eben;
Von dir wird Rom und mir die Freiheit selbst geraubt.
Gerechte Götter! Ach! Wer hätte das geglaubt?
Kann ein tyrannisch Herz noch so viel Großmut hegen?
O wärest du geneigt, die Waffen abzulegen!
Itzt bin ich voller Scham, ja fast verzweiflungsvoll,
Daß ich dich ehren muß, da ich dich hassen soll.
Laß nach der Grausamkeit die Güte triumphieren!
Laß Rom in Freiheit stehn und Rat und Volk regieren!
Und mache, daß dich einst das hohe Lob vergnügt,
Seht! Cäsar ist ein Held, der auch sich selbst besiegt.
Er war uns zwar verhaßt: Itzt müssen wir ihn lieben.
Wir sind durch seine Huld vom Joche frei geblieben.
Es drohte seine Macht uns lauter Sklaverei,
Und itzo sind wir bloß durch seine Gnade frei.
Wiewohl, es ist umsonst. Kein Ruhm kann Euch bewegen,
Der Laster schnöder Glanz kann Euch viel stärker regen.
Ihr stammt von Göttern her, so wie Ihr selber sprecht;
Doch seid Ihr, wie man sieht, der tollen Ehrsucht Knecht!
Wollt Ihr Euch darum nur zum Götterchor erheben,
Um aller Menschlichkeit gar gute Nacht zu geben?
Seid Ihr der Götter Sohn, so zeigt auch, daß Ihrs seid:
Nun gleicht man ihnen bloß durch Huld und Gütigkeit!
Allein, die Zeit vergeht, Ihr bleibt bei euren Sinnen
Und laßt Euch durch Vernunft und Tugend nicht gewinnen.
Ich geh und mache gleich den Römern selber kund,
Was Euer Vorschlag ist. Da mag ihr eigner Mund
Den ganzen Ausspruch tun. Erwehlt man das Verderben:
So tu mans immerhin! Ich will viel lieber sterben! (Er geht ab.)
Cäsar
O welch ein endles Herz! Wär ich nicht, was ich bin,
Ich wünschte mir nichts mehr, als Catons freien Sinn,
Der keinen König will. Jedoch, wer kommt gegangen?
Mich dünkt, es ist Pharnaz. Was wird er doch verlangen?
Fünfter Akt, achter und letzter Auftritt
Cato. Portius. Artaban. Phocas. Portia. Phenice.
Artaban
Das ist nun dein Triumph! So, Cäsar, kannst du siegen!
Phocas
Nun ist es aus mit Rom, so hoch es auch gestiegen.
Portius
Mein Vater! sterbt doch nicht.
Cato
(den man getragen bringt)
So weit, hier setzt mich her
Getrost, mein Sohn, getrost! Das Reden fällt mir schwer.
Tritt näher, Portius. wie stehts mit unsern Freunden?
Sind sie schon eingeschifft? Entkommen sie den Feinden?
Sprich, ob ich ihnen sonst noch irgend dienen kann?
Du aber rufe nie den Feind um Gnade an.
Veräume niemals was, die Freiheit Roms zu retten;
Itzt folgt sie mir ins Grab! Ich sterbe sonder Ketten
Und bin recht sehr erfreut, daß, da ich frei gelebt,
Ich noch ein Römer bin, indem man mich begräbt.
Dem Beispiel folge nach! Du stammst aus meinem Samen,
Befleiße dich denn auch, dem Cato nachzuahmen!
(Er umarmt ihn.)
Gehab dich wohl, mein Sohn! Du aber, Portia,
Die ich vorlängst verlor, itzt wenig Stunden sah
Und wiederum verlier, gedenke meiner Liebe
Und folg in allem Tun dem tugendhaften Triebe,
Der dich bereits erfüllt. Beweine nicht mein Grab;
Rom, Rom, dein Vaterland dringt dir die Tränen ab!
Verdamme Cäsars Glut, die dich zur Sklavin machet,
Und weil was Römisches in deiner Brust erwachet,
So wehle künftig mir den Held zum Tochtermann,
Der den Tyrannen straft und Rom befreien kann.
Umarme mich, mein Kind! Ihr Freunde, seht mich sterben!
Ihr seufzet? Tut es nicht! Beweinet Roms Verderben!
Lebt wohl und Rom getreu. Ihr Götter! hab ich hier
Vielleicht zu viel getan: Ach! So vergebt es mir!
Ihr kennt ja unser Herz und prüfet die Gedanken!
Der Beste kann ja leicht vom Tugendpfade wanken.
Doch ihr seid voller Huld. Erbarmt euch! - - Ha!
Artabanus
Er stirbt!
Phocas
O Schmerz! O harter Fall! Der größte Mann verdirbt,
Den jemals Rom gesehn! Das Ebenbild der Götter,
Und hätten sie gewollt, des Vaterlandes Retter.
Portius
Kommt, tragt den toten Leib vor Cäsars Angesicht,
Wer weiß, ob ihm nicht noch sein hartes Herze bricht,
Wenn er den Helden sieht in seinem Blute liegen.
Artabanus
O Rom! Das ist die Frucht von deinen Bürgerkriegen!
Zitiert nach: Gottsched, Johann Christoph: Sterbender Cato. Hg. v.
Horst Steinmetz. Stuttgart 1964 [= RUB 2097]. S. 52-58; 83-84