6. Schlußbetrachtung
Der Gang durch die Stadt Oldenburg im Jahr 1678 anhand des Steuerregisters zeigte eine wenig
wohlhabende bürgerliche Gemeinde, hart getroffen vom großen Brand zwei Jahre zuvor, aber
dennoch wirtschaftlich wieder aktiv im Rahmen des Möglichen. Hartnäckig hatte man sich gegen
eine neue Steuer in dieser Situation gewehrt und in der Hauptsache auch den gewünschten Erfolg
errungen: die Regierung erkannte Brandschäden als abzugsfähig an, so daß die Oldenburger
kaum Steuerbeträge zu zahlen brauchten. Aber der Staat setzte sein Verlangen nach möglichst
vollständiger Erklärung und Registrierung der fiskalisch interessanten Merkmale wirtschaftlicher
Leistungsfähigkeit durch. Die Einwohner mußten ihre Lebensverhältnisse offenlegen. Diesem
Umstand ist es zu verdanken, daß wir heute einen Teil der vergangenen Lebenswelt aus
Steuerverzeichnissen rekonstruieren können.
Der Kopf-, Vieh- und Zinsanschlag von 1678 gewährte, bei Anwendung quantitativer Methoden,
Einblicke in die Familienverhältnisse und die Berufsstruktur, in die ungefähre wirtschaftliche
Leistungskraft und die Wohnstandorte der Einwohner. Oldenburg zeigte sich deutlich als Handels
und Dienstleistungsstadt mit starkem Bekleidungsgewerbe, nicht als Ackerbürgerstadt mit
agrarischer Erwerbstätigkeit. Ebenso kam die soziale Ungleichheit zum Vorschein, Kennzeichen
fast aller frühneuzeitlichen Städte. Sie ließ sich bis in die einzelnen Straßen verfolgen. Nach den
Steuermerkmalen konnten fünf Straßengruppen gebildet werden, die in Berufsstruktur und
Einkommen jeweils einen spezifischen Charakter besaßen.
So liegt hier eine sozialgeschichtliche Querschnittsanalyse für Oldenburg im ausgehenden 17.
Jahrhundert vor. Selbst wenn die gewonnenen Ergebnisse als sicher gelten dürfen, bleiben noch
einige Fragen offen. Querschnitte sind, bildlich gesprochen, Momentaufnahmen eines Zustands,
welche die in der Geschichte immer ablaufende Bewegung, die Entwicklung nicht wiedergeben
können, ja sie geradezu ausblenden. Schon das Jahr 1678 kann man kaum als Zeit normaler
sozialer und wirtschaftlicher Verhältnisse betrachten. Es Krieg, der die Stadt zwar nicht direkt
berührte, aber indirekt mit hartem Steuerdruck traf. Der Brand von 1676 hatte Vermögen und
Wohlstand vernichtet, was zwei Jahre danach noch überall spürbar war und zur erwähnten
Steuerermäßigung führte.
Wie aber sah der Alltag in Oldenburg im 17. Jahrhundert aus? Gab es ein "normales Leben" ?
Wie weit war es vom Zustand des Jahres 1678 entfernt? Welche Entwicklung fand statt, im 17.
Jahrhundert der Krisen und später im 18. Jahrhundert der Erholung und des Aufstiegs der
stadtbürgerlichen Gesellschaft? Antworten auf diese Fragen zu finden, bleibt Aufgabe zukünftiger
Forschung, die außer Querschnitts auch Längsschnittsanalysen erstellen und dabei quantitative
wie qualitative Methoden einsetzen wird. Der Aufwand lohnt.
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